Skip to main content

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Volk Gottes thumbHochgebet für besondere Anliegen: Schweizer Hochgebet

Ein erfolgreicher Exportartikel

Liturgische Texte reifen langsam – in der Geschichte, in der Arbeit von Kommissionen. Geradezu plötzlich entstand 1974 ein neues Eucharistiegebet: swissmade!

Ein umständlicher Name für ein einfaches Gebet

Ohne Zweifel: Es gibt viele besondere Anliegen, die Menschen bewegen, wenn sie Messe feiern. Für einige wiederkehrende Anliegen gibt es im Messbuch Formulare, das heisst: ein eigenes Tagesgebet, ein eigenes Gabengebet, manchmal eine eigene Präfation und ein eigenes Schlussgebet. Das ergibt noch keine Messe – es braucht ein Hochgebet: zum Beispiel jenes eine Hochgebet mit den vier Varianten (sofern im Formular keine eigene Präfation steht).

Um welche Anliegen geht es? Diese Messen werden zum Beispiel für Ordensberufe, für verfolgte Christen oder für die bürgerliche Gemeinschaft, für Kranke oder Sterbende gefeiert. Oder bei einem Konzil oder einer Synode. Für eine Synode, die Synode 72 in den Schweizer Diözesen, entstand dieses Hochgebet. Am Anfang sprach man deshalb vom ‚Synoden-Hochgebet', später vom ‚Schweizer Hochgebet'. Unter diesem Namen und nicht mit der langen Bezeichnung wird bis heute von diesem beliebten Hochgebet gesprochen. Es existiert in vier Varianten:

I Die Kirche auf dem Weg zur Einheit
II Gott führt die Kirche
III Jesus, unser Weg
IV Jesus, der Bruder aller 

Die Entstehung ist ein kurzes, aufregendes Kapitel der Schweizer Liturgiegeschichte, eines, das durchaus nicht allen bekannt ist. Und ein erfolgreiches Kapitel, denn inzwischen steht das ‚Schweizer Hochgebet' im lateinischen Missale von 2002, nach dem weltweit in die Volkssprachen übersetzt wird. Wie kam es zu diesem Hochgebet in moderner Sprache?

Neue, freie, wilde Hochgebete

In der nachkonziliaren Phase entstanden nicht nur die drei neuen Hochgebete II-IV. Es gab zahlreiche nicht-offizielle, manchmal ‚frei', manchmal ‚wild' genannte Hochgebete. Die Produktion von derartigen Hochgebeten untersagten die zuständigen Behörden mit Dekret vom 27. April 1973 – das Detail ist wichtig. Eine kleine Ausnahme gab es allerdings: „Der Apostolische Stuhl wird Eingaben von Bischofskonferenzen, die darauf hinzielen, dass unter besonderen Umständen vielleicht ein neues Hochgebet geschaffen und in die Liturgie eingeführt wird, wohlwollend prüfen." Bei einem Besuch in Rom im September 1973 gab man dem damaligen Präsidenten der „Liturgischen Kommission der Schweiz" (sie besteht bis heute), Abt Georg Holzherr, zu verstehen, dass die Chancen für einen positiven Entscheid schlecht stünden.

Das Plötzliche in der Liturgiegeschichte

Nur zwei Monate später änderte sich die Situation: Abt Georg hatte einen Hinweis bekommen, dass sich für eine kurze Zeit eine Tür öffnen könnte. Die Liturgische Kommission ersuchte daraufhin die Bischofskonferenz, beim Mitte Dezember bevorstehenden Ad-Limina-Besuch die Erlaubnis zu einem Hochgebet aus Anlass der Synode 72 der Schweizer Bistümer zu erbitten.

Nur wenige Briefe waren hin und her gegangen, als Erzbischof Annibale Bugnini mit Datum vom 18. Februar 1974 „grünes Licht gab". Sofort bildete sich eine kleine Arbeitsgruppe unter Leitung von Abt Georg Holzherr. Als Sekretär fungierte Walter von Arx (Foto und sein Bericht: s. bei Links), der damalige Leiter des Liturgischen Instituts. Von bischöflicher Seite war Bischof Anton Hänggi, vormals Professor für Liturgiewissenschaft in Fribourg, vertreten. Man erarbeitete Kriterien, diskutierte Entwürfe, überarbeitete Formulierungen. Wer das ‚Schweizer Hochgebet' verfasste, ist derzeit unbekannt. Üblicherweise kennt man die Namen derer, die einen liturgischer Text geschrieben haben nicht, aber eine gewisse Neugier gibt es hier wohl doch.

Während des Entstehungsprozesses von Februar bis Mai blieb man im Kontakt mit der Gottesdienstkongregation, die sich mit dem vorgelegten Entwurf grundsätzlich einverstanden erklärte. Bis Ende Mai konnten die Bischöfe Änderungswünsche eingeben. Nach der bischöflichen Approbation am 7. Juni wurde das Hochgebet zur Konfirmierung in Rom eingereicht. Diese erfolgte am 8. August 1974. Jetzt konnte es gedruckt werden. Am 8. September 1974 verwendete Bischof Anton Hänggi das Hochgebet erstmals bei einer gesamtschweizerischen Synodensitzung.

Karriere eines Hochgebets

Zwischen dem Ad-Limina-Besuch im Dezember 1973 und der Konfirmierung im August 1974 liegen neun Monate. Verglichen mit anderen liturgiegeschichtlichen Entstehungsprozessen ist das geradezu eine Sturzgeburt. Noch deutlicher wird das Plötzliche der Entstehung im Zusammenhang mit der deutschen Übersetzung des Messbuchs: Zwei Wochen nachdem Hänggi erstmals mit dem deutschsprachigen Synodenhochgebet Eucharistie feierte, versammelten sich die Bischöfe des deutschen Sprachgebiets, um das deutsche Messbuch zu approbieren (im Druck erschienen 1975). Hänggi verteilte zur grossen Überraschung seiner Mitbrüder bei diesem Anlass die ersten Exemplare des ‚Schweizer Hochgebets'.

Das ursprünglich deutsch verfasste und zugleich in französischer Übersetzung in Rom eingereichte Hochgebet wurde Ende 1974 ins Italienische übersetzt – mit ersten Veränderungen. In dieser Fassung ging es später ins italienische Messbuch ein als 5. Eucharistisches Hochgebet.

Schon vorher hatten andere benachbarte Länder die deutsche oder französische Version des ‚Schweizer Hochgebets' approbiert: Luxemburg 1974, Österreich und die Diözese Strassburg 1975, Frankreich 1978. Im Laufe der Jahre folgten Übersetzungen in zahlreiche weitere Sprachen. Es verbreitete sich über Europa hinaus. Ein äusserst erfolgreicher Exportartikel!

Die römischen Behörden kamen Anfang der 90er Jahre zu der Überzeugung, dass die Verwendung praktisch universell geworden war. Allerdings waren auf diesem Weg kleine Veränderungen des ursprünglichen Texts erfolgt. Natürlich gab es auch kritische Äusserungen (s. rechts Wider-Wort).

Ein Schweizer Hochgebet in lateinischer Sprache

Als die Entscheidung fiel, das ‚Schweizer Hochgebet' in die 3. Auflage des lateinischen Messbuchs aufzunehmen, brauchte es eine lateinischen Übersetzung. Dieser Notwendigkeit entsprach die Intention, die vorhandenen Unterschiede in den volkssprachlichen Übersetzungen zu einer einheitlichen Form zurückzuführen, und die Verwendung des Hochgebets für die Messen für besondere Anliegen vorzusehen. Aus dem ‚Schweizer Hochgebet' für den ganz spezifischen Anlass einer synodalen Versammlung in einem kleinen Land war ein universalkirchliches Hochgebet geworden.

Die neue lateinische Fassung stammt aus dem Jahr 1991. Jakob Baumgartner, damals Liturgiewissenschaftler in Fribourg, kam bei einem eingehenden Vergleich zwischen ursprünglicher und lateinischer Version zu dem Ergebnis, dass die lateinische Version hier und da zur „Redseligkeit" neigt, auch zur „Verfeierlichung" und teilweise „zur theologischen Aufladung". Doch er bescheinigt der zuständigen römischen Behörde auch die respektvolle und behutsame Revision des Schweizer Formulars. Gleichzeitig sagt er: „Freilich wird man den Eindruck nicht ganz los, auf diesem Umweg sei es Rom schliesslich doch gelungen, das CH-Hochgebet zu ‚zähmen' bzw. auf die offizielle Linie einzuspuren ... Für eine Feststellung wissen sich die Eidgenossen der Kongregation zu Dank verpflichtet: sie bekennt sich nämlich dazu, der Prex helvetica hafteten keine eigentlichen theologischen Irrtümer, sondern ein paar Unvollkommenheiten an. Im übrigen bedeutet es für die Schweizer Kirche eine Ehre ...".

Auch ins Deutsche wurde – so paradox es klingen mag – das ‚Schweizer Hochgebet' nun neu übersetzt. Bei der Übersetzung aus dem Lateinischen verfolgte man zunächst das Ziel, den ursprünglichen Text so weit wie möglich zu erhalten. Nach einer Phase der Einarbeitung diverser Änderungswünsche hatte sich diese Zielsetzung etwas verschoben: Man versuchte, den unter den Bedingungen der 90er Jahre bestmöglichen Text zu schaffen. – Unter dem neuen Label ‚Hochgebet für Messen für besondere Anliegen' erschien es erstmals 1994 und seitdem in diversen Nachdrucken. Aus dem Export wurde ein Reimport.

Synode – Kirche auf dem Weg

Der Grundgedanke des Hochgebets war in der Synodenzeit ebenso aktuell und zentral wie heute. Die Anregung kam von Bischof Anton Hänggi: „Für das Hochgebet der Synode soll vom Grundgedanken ‚syn-odos (gemeinsam unterwegs)' ausgegangen werden. Die Kirche ist das Gottesvolk, das von Gott gerufen ist, aus dem Heute in die Ewigkeit Gottes zu pilgern." (nach einem Rückblick von Abt Georg Holzherr) Das reiche biblische Motiv des Weges Gottes mit den Menschen zieht sich durch die Texte. Vielleicht ist das zusammen mit der einfachen und klaren Sprache einer der Gründe für die schnelle Verbreitung und die grosse Akzeptanz dieses Hochgebets.

Im Hochgebet (in der Version von 1994) klingt das Weg-Motiv an diversen Stellen an. In jeder Variante heisst es: „Gepriesen sei dein Sohn, der immer mit uns auf dem Weg ist." Die Emmausjünger stehen für diese Erfahrung (vgl. rechts: Geistlicher Impuls). In den Präfationen kommen weitere Aspekte dazu, besonders ausführlich im Hochgebet „Gott führt die Kirche":

„Du lässt uns niemals allein auf unserem Weg und bist immer da für uns. Einst hast du Israel, dein Volk, mit starker Hand durch die Wüste geleitet. Heute führst du deine pilgernde Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes. Du bahnst ihr den Weg durch diese Zeit in die ewige Freude deines Reiches ...".

Auch im zweiten wechselnden Element klingt das Motiv an – als Weggemeinschaft der Menschen:

„Lass uns in Gemeinschaft mit unserem Papst N. ... in Vertrauen und Hoffnung deine Wege gehen und für alle eine Quelle der Freude und Zuversicht sein." – „Mache uns offen für das, was die Menschen bewegt, dass wir ihre Trauer und Angst, ihre Freude und Hoffnung teilen und als treue Zeugen der Frohen Botschaft mit ihnen dir entgegengehen."

Gunda Brüske

 

Stichwort

  • entstanden 1974 für die Synode 72 in deutscher Sprache und französischer Übersetzung
  • Thema: Kirche auf dem Weg mit Gott (syn-odos: gemeinsam unterwegs)
  • ein Hochgebet mit vier Varianten für Präfationen und Interzessionen
  • folgt im Aufbau den Hochgebeten II-IV
  • weite Verbreitung in verschiedenen Sprachen innerhalb weniger Jahre
  • lateinische Übersetzung 1991 für das lateinische Missale (2002)
  • zu verwenden in Messen für besondere Anliegen

Empfehlung der SBK für den synodalen Prozess (2021-2023)

"Zur Begleitung des synodalen Prozesses empfehlen die Bischöfe, wieder vermehrt die vier «Hochgebete für besondere Anliegen» zu benutzen. Denn diese sind aus dem sogenannten «Synoden-Hochgebet», das während der Synode 72 in der Schweiz gebetet wurde, hervorgegangen und haben später Eingang ins Messbuch für die ganze Welt gefunden."
Medienmitteilung der Schweizer Bischofskonferenz (16.9.2021)

Geistlicher Impuls

91393530397921285312

Die Emmaus-Jünger als Pilger im Gespräch mit Jesus.
Spanien, 12. Jahrhundert, The Metropolitan Museum of Art, Pierpont Morgan Foundation, New York.

nach dem Sanctus:

"Ja, du bist heilig, grosser Gott. Du liebst die Menschenund bist ihnen nahe. Gepriesen sei dein Sohn, der immer mit uns auf dem Weg ist und uns um sich versammeltzum Mahl der Lieben. Wie den Jüngern (von Emmaus) deutet er uns die Schriftund bricht das Brot für uns."

Facts

91157774401330841990

"Dieses Hochgebet ist von Anfang an für bestimmte Gelegenheiten erarbeitet worden, wie seine Struktur und sein Text deutlich zeigen. Darum müssen sich jene, für die es bereits zugelassen ist oder zugelassen wird, an die Vorschrift dieser verbindlichen Ausgabe halten, dass der Text dieses Hochgebets zusammen mit Formularen für 'Messfeiern für besondere Angelegenheiten' verwendet wird."

Aus dem Dekret zur Veröffentlichung der lateinischen Ausgabe 1991

"An den Wochentagen im Jahreskreis kann der Priester das Messformular vom Tag, von einem etwa für diesen Tag vorgesehenen Heiligengedächtnis, von einem der Heiligen, die für diesen Tag im Martyrologium eingetragen sind, oder ein Messformular für besondere Anliegen oder eine Votivmesse nehmen."

Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch (1975) Nr. 316 c

Das Hochgebet ist im Buchshop erhältlich.

Lesetipp

Liturgie in BewegungZum historischen Umfeld:

Liturgie in Bewegung

Bruno Bürki, Martin Klöckener (Hrsg)

Beiträge zum Kolloquium Gottesdienstliche Erneuerung in den Schweizer Kirchen im 20. Jahrhundert. Freiburg: Paulusverlag 2000 (franz. u. dt. Aufsätze).

Links

walter von arx

Zur Entstehung: Walter von Arx, Das Hochgebet für die Kirche in der Schweiz (1977)

Kurzinfo Synode 72 (Hist. Lexikon der Schweiz)