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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Kreuzverehrung thumbKarfreitag

Dynamik der drei österlichen Tage

Das jüdische Pessachfest gedenkt des Auszugs aus Ägypten: Befreiungserlebnis schlechthin. Wenn Christen Karfreitag feiern, wozu befreit ihr Gedenken?

An diesem Tag beginnt die Liturgie anders als sonst: ein stiller Einzug, der Zelebrant fällt vor dem Altar nieder oder kniet – kein Wort, auch kein Ton. Der gesungene Eröffnungsvers vom Abend zuvor, vom Hohen Donnerstag, steht insgeheim als Eröffnungsvers auch über dieser Feier und ebenso noch über dem Beginn der Osternacht: Wir rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. In ihm ist uns Heil geworden und Auferstehung und Leben. Durch ihn sind wir erlöst und befreit. Tatsächlich: die Worte passen nicht nur für die Abendmahlsmesse am Vortag, sie stimmen genauso für Karfreitag und Ostern. Diese Überschrift für die drei österlichen Tage zeigt: Was am Abend des Gründonnerstags begann, das geht ohne neue Überschrift am Karfreitag und in der Osternacht weiter. Wer weder den Anfang noch den Fortgang oder das Ende verpassen will, muss vom Hohen Donnerstag über den Karfreitag bis Ostern dabeisein. Drei Akte eines Dramas, jeder Akt mit eigenem Schwerpunkt und doch immer wieder zurückbezogen und dynamisch vorwärtsdrängend: Einheit aus drei Tagen, Triduum paschale.

Zweiter Akt: Karfreitag

Der Schwerpunkt des sozusagen zweiten Akts, die Feier vom Leiden und Sterben Christi am Karfreitag, ist ohne Zweifel die Verkündigung der Passion nach dem Johannesevangelium. Bei Johannes stirbt Jesus zu dem Zeitpunkt, als im Tempel die Lämmer für das am Abend beginnende Pessachfest geschlachtet wurden. Der Rüsttag bei Johannes als Tag der unmittelbaren Festvorbereitung (vgl. Joh 19,14.31.42) ist der von uns Karfreitag genannte Tag. Jesus stirbt also noch vor dem Beginn des Pessachfestes. Von den frühesten Quellen für eine christliche Osterfeier bis heute folgt der Zeitansatz der Feier dem Johannesevangelium. Deshalb ist es kein Wunder, dass am Hohen Donnerstag und am Karfreitag Evangelium und Passion aus diesem Evangelium erklingen.

Wie vom Pessachlamm galt, das ihm kein Knochen gebrochen werden sollte, so sagt es Johannes von Jesus: „Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon tot war, zerschlugen sie ihm die Beine nicht." (Joh 19,33). Damit erfüllte sich das Schriftwort: „Man soll an ihm kein Gebein zerbrechen." (Joh 19,36, vgl. Ex 12,46; Num 9,12). Das Pessachlamm ist Jesus selbst. Das Lamm wird zum Christusnamen und ist es bis heute geblieben. Dieses Tier gehört zu Ostern mehr als jedes andere: das Osterlamm.
Viel früher als Johannes und alle andere Evangelien kennt Paulus diesen Zusammenhang: „Denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden." (1 Kor 5,7) Zwei Tage nach dem Karfreitag greift die Liturgie diesen Vers auf und zeigt uns damit, wie Leidensgedächtnis und Ostern zusammengehören: „Halleluja. Halleluja. Unser Paschalamm ist geopfert: Christus. So lasst uns das Festmahl feiern im Herrn. Halleluja." (Ruf vor dem Evangelium am Ostersonntag)

Dynamik der drei Tage – Dynamik der Johannespassion

Die Einheit von Passion, Erhöhung und Geistgabe kommt im Johannesevangelium besonders stark zum Ausdruck. Im Verhör und noch am Kreuz erscheint Jesus als frei und souverän, ein Mensch, der selbst den Fortgang der Handlung bestimmt. Bei Johannes ist Pilatus jemand, der deutlich Anspruch und Würde dessen empfindet, der im Verhör vor ihm steht. Die so andere Art seines Königtum (Joh 18,36-37) bekommt er in Jesu Antworten deutlich zu spüren. Als er den Versuch unternimmt, seine eigene herrscherliche Macht ins Spiel zu bringen, gibt Jesus ihm zu verstehen, dass sie nicht eigener Souveränität entspringt: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre." (Joh 19,11)
Immer wieder ist es bei Johannes Jesus, der handelt, der aktiv ist – und gleichzeitig stirbt er als Pessachlamm. Die johanneische Erhöhung am Kreuz ist nicht nur Sterben, sondern Gabe des Lebens (vgl. Joh 3,14 mit Joh 19,30). Die deutsche Übersetzung „und gab seinen Geist auf" (Joh 19,30) kann die wohl bewusste Doppeldeutigkeit des Griechischen nicht einfangen: er übergab den Geist (so wörtlich) – die Übergabe des Lebens als Gabe des Geistes. In dieser Übergabe liegt noch einmal ein dynamisches, über den Tod hinausweisendes Element, schenkt der Auferstandene im Johannesevangelium doch noch am Abend des Ostersonntags den Heiligen Geist und sendet die Jünger aus (Joh 20,21-23; Evangelium an Pfingsten). Deutet sich der österliche Überschritt vom Tod zum Leben in dieser doppeldeutigen Formulierung des Todesaugenblicks nicht schon an?
In der Johannespassion schimmert unter allem Dunkel des Geschehens schon verborgen österlicher Glanz durch. Dabei geht es keineswegs um Verharmlosung des Kreuzes, sondern vielmehr um die Einordnung in den grösseren Zusammenhang, den biblischen wie den liturgischen.

Fortsetzung des ersten Akts vom Hohen Donnerstag

Mit der johanneischen Identifizierung des Todeszeitpunkts mit der Schlachtung der Lämmer verbindet sich ein biblischer Rückbezug, der früh in die Liturgie der österlichen Tage Eingang fand – der Rückbezug auf die Essen der Lämmer vor dem Auszug aus Ägypten. Der Bericht vom Auszugspessach (Ex 12,1-14) gehört zu den alten Lesungen der drei österlichen Tage (heute am Hohen Donnerstag als 1. Lesung, bis zum Konzil am Karfreitag). Er zeigt die Israeliten unmittelbar vor dem Aufbruch. Es ist der Moment vor dem Schritt in die Freiheit. In dieser Situation reicht die Zeit nur mehr für ein hastiges Mal. Und noch droht eine Gefahr: der für die Erstgeburt der Ägypter tödlich endende Vorübergang des Herrn. Das Blut der Lämmer, mit dem die Israeliten ihre Häuser kennzeichnen, bewahrt sie. Blut ist Sitz des Lebens und Zeichen des Bundes. So hart oder auch archaisch dies für moderne Ohren klingen mag, der Akzent liegt auf der Befreiung Israels: dieses Vorübergehen Gottes ist Weg ins Offene, in ein neues Leben.
Gilt das auch für das andere Osterlamm, von dem am Karfreitag die Rede ist? Tod der Lämmer für die Feier des Pessach und Tod des Herrn am Kreuz – Rettung im Zeichen des Blutes, Vorübergang Gottes, Befreiung aus dem Tod und Weg in neues Leben? Der Autor der ersten erhaltenen christlichen Osterpredigt denkt in vielen solchen Entsprechungen zwischen Erstem und Neuem Testament: „Dieser [Christus] nämlich, indem er wie ein Lamm geführt und als Schaf geschlachtet wurde, hat uns aus der Dienstbarkeit des Kosmos erkauft wie aus dem Land Ägypten ... und er hat unsere Seelen besiegelt mit seinem eigenen Geist und die Glieder seines Leibes mit seinem eigenen Blut. ... Dieser ist es, der uns herausgerissen hat aus der Knechtschaft in die Freiheit, aus der Finsternis in das Licht, aus dem Tod in das Leben ..." (Melito von Sardes, 3. Jh.) „Herausgerissen", da ist wieder die Dynamik des österlichen Überschritts in das neue Leben der Auferstehung. Die Feier von Ostern beginnt am Abend des Gründonnerstag in der Erzählung vom Auszugspessach, findet eine Fortsetzung im Sterben des neuen Pessachlammes mit der Johannespassion am Karfreitag und kann auch dabei nicht stehenbleiben.

Vorschein des österlichen Finale

Das Gedächtnis des Leidens bestimmt zwar in allen Texten und allen Zeichenhandlungen den sozusagen zweiten Akt des Dramas, aber die Ankündigung der Auferstehung und Befreiung, die schon am Hohen Donnerstag begonnen hat, setzt sich weiter fort:

    • im Tagesgebet (im Blut Christi ist das österliche Sakrament eingesetzt; der Tod ist vernichtet);
    • in der 1. Lesung (Jes 52,13-53,12): der zerschlagene und geschundene Gottesknecht wird gerettet, er wird lange leben, Licht erblicken – er macht die vielen gerecht und er heilt sie;
    • in der 2. Lesung (Hebr 4,14-16;5,7-9): Jesus ist aus seiner Angst befreit und zum Urheber ewigen Heils geworden;
    • im Ruf vor dem Evangelium (Phil 2,8b-9): der gehorsam war bis zum Tod am Kreuz ist von Gott erhöht worden;
    • in der Kreuzverehrung im Gesang: „Dein Kreuz, o Herr, verehren wir, und deine heilige Auferstehung preisen und rühmen wir: Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt."
    • im Schlussgebet: „durch den Tod und die Auferstehung deines Sohnes, hast du uns das neue Leben geschenkt ...";
    • im Segensgebet: „reicher Segen komme herab auf dein Volk, das den Tod deines Sohnes gefeiert hat und die Auferstehung erwartet."

Einheit der drei österlichen Tage

So ernst und feierlich die römische Karfreitagsliturgie ist mit ihrem schweigenden Beginn, mit dem Blick auf den so arg Entstellten in der 1. Lesung oder der hörend ertragenen langen Johannespassion, mit dem ausgedehnten Gebet in den grossen Fürbitten, mit der berührenden Verehrung des Kreuzes und jenen Gesängen, in denen wir selbst von Jesus angeklagt werden (den sogenannten Improperien, z.B. KG Nr. 425), mit dem Ausfall einer eigenen Eucharistiefeier (stattdessen eine kurze Kommunionfeier), natürlich auch mit dem strengen Fasten dieses Tages – immer wieder wird sichtbar, dass dies alles Durchgang ist: Vorübergang, das heisst in der Sprache Jesu pascha (gesprochen pas-cha) und es meint den Vorübergang oder Überschritt zum Leben. Was in der Karfreitagsliturgie bereits immer wieder durchscheint, das lässt sich Ostern ganz und gar nicht mehr unterdrücken: das Leben hat den Tod überwunden, Christus ist auferstanden. Wer den Karfreitag mitgefeiert wird, kann Ostern nicht fehlen, denn Christus hat die Herrschaft des Todes durchbrochen, er zieht alles zum Leben hin.

Gunda Brüske

 

Stichwort

  • kara = althochdeutsch für Trauer, Klage
  • Gedächtnis der Passion ursprünglich Teil der Osternacht
  • seit Ende 4. Jh. eigener Feiertag mit Wortgottesdienst zur Todesstunde Jesu
  • besondere Elemente: Lesung der Johannespassion, feierliche Fürbitten, Kreuzverehrung
  • Tag des Fastens (vgl. Mk 2,19f)

Wider-Worte

"Das Kreuz ist das einzige Koordinatenssystem, das Ordnung in unsere Gedanken, Gefühle und Sehnsüchte bringt."

Kyrilla Spiecker (1980)

Geistlicher Impuls

Gedenke, Herr, der grossen Taten, die dein Erbarmen gewirkt hat. Schütze und heilige deine Diener, für die dein Sohn Jesus Christus, sein Blut vergossen und das österliche Geheimnis eingesetzt hat ... (Tagesgebet 1 am Karfreitag)
Gedenke deines Erbarmens, Jahwe, und deiner Gnade, die waltet von Anbeginn. (Ps 25,6 Jerusalemer Bibel)

Mit diesem Psalmruf Gedenke, Herr „beginnt die Kirche das erste Tagesgebet des Karfreitag. So menschlich betet die Kirche – geleitet vom Beispiel der Heiligen Schrift. Als ob Gott sein Erbarmen vergessen könnte, er, der Erbarmen und Liebe ist! Der Tag steht wie kein anderer unter dem Zeichen des Kreuzes, dem die Kirche in den Feierlichkeiten des Tages huldigt. Es ist das Zeichen gegen alle feindlichen Mächte. Es ist das Zeichen des Segens und der Heiligung. Aller Schutz und alle Heiligung haben im Kreuz ihren Ursprung.

Gross ist das Vertrauen der Betenden. Denn Christus hat für sie durch sein Blut das Paschamysterium eingesetzt. Hat er es nur durch (Leib und) Blut eingesetzt und nicht auch durch die Auferstehung? Dass nur das Blut genannt wird, hat seine Bedeutung für die Natur des Mysteriums. Es ist eine Opferhandlung, für die das Ausgiessen des Blutes charakteristisch ist. Natürlich gehört zum Paschamysterium auch die Auferstehung. Aber auch sie kommt als Heilsfolge vom Opfer des Herrn, der ‚all dieses leiden musste, um so in seine Herrlichkeit einzugehen' (Lk 24,26). Wir sind durch Tod und Auferstehung erlöst ... So hat auch das Mysterium die beiden Pole, aber der zweite kommt aus dem ersten. Insofern ist das ganze aus den beiden Polen bestehende Mysterium durch das Blut Christi eingesetzt worden."

Josef Pascher (1893-1979)

Lesetipp

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Alex Stock, Poetische Dogmatik. Christologie 3. Leib und Leben. Paderborn 1998, Kapitel: Passion.
Alex Stock, Poetische Dogmatik. Christologie 4. Figuren. Paderborn 2001, Kapitel: Kreuz.

Ablauf

1. Wortgottesdienst
Stiller Einzug mit Niederfallen oder Niederknien vor dem Altar
Tagesgebet
Jes 52,13-53,12 mit Ps 31 als Antwort
Hebr 4,14-15;5,7-9
Ruf vor der Passion Phil 2,8b-9
Passion Joh 18,1-19,42
Predigt
Grosse Fürbitten

2. Kreuzverehrung

3. Kommunionfeier

Links

Liturgische Texte

Karfreitagsfürbitte für die Opfer von Verfolgung, Krieg, Terror (Liturgische Kommission für Österreich)