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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

raum und bild thumbRaum und Bild

Sichtbares, das öffnet für den Unsichtbaren

Atmosphäre, Licht, Bilder - Kirchenräume ziehen an. Raum ist Reichtum.

Neben dem Wort, der Musik und den liturgischen Handlungen sind auch der Raum und die Bilder wesentliche Elemente eines Gottesdienstes. Sie bilden nicht nur den Rahmen, sie nehmen an den Gottesdiensten aktiv teil, sie schaffen eine Atmosphäre, sie betreiben auf ihre Weise Exegese, sie öffnen die Augen und feiern mit. Grund genug, sich als Theologin und Theologe auch hierin Kompetenzen anzueignen: liturgische Raum- und Bildkompetenz.

Die Kirchen sind in ihrer Gestalt wesentlich durch die Theologie und Liturgie der Zeit geprägt, in der sie gebaut wurden. Doch nicht nur in einer historischen Perspektive ist es interessant und hilfreich, die Architektur und Gestaltung einer Kirche besser zu verstehen, sondern auch in praktischer Hinsicht. Wo der Ort, von dem aus gepredigt wird, sich befindet, wo der Abendmahlstisch steht, wo der Taufort ist, wo die Musik herkommt, das ist von Bedeutung für die Liturgie. Der Raum beteiligt sich am Gottesdienst: durch seine Dimensionen, seine spezifische Gestalt, die Lichtführung, die Materialisierung, die Akustik, die Platzierung der liturgischen Orte, die Platzierung der Gemeinde usw. All diese Elemente erzeugen eine unverwechselbare Stimmung, die eine starke Wirkung auf die Gottesdienstbesucher ausübt.

Neuere Raumtheorien lehren uns, dass der Raum mehr ist als ein geometrischer Körper im Sinne einer leeren Hülle. Raum – so der französische Philosoph Merleau-Ponty – wird vom Leib her erfahren. Laut Heidegger ist er ein offener Handlungsraum. Heute geht man von einem anthropologischen Raumbegriff aus. Der Raum definiert sich aus der Interaktion. Der Raum und der Mensch in ihm sind aufeinander bezogen. Das bedeutet konkret: Der Raum bestimmt mit, wie sich die Menschen in ihm verhalten und fühlen. Umgekehrt prägen die Menschen den Raum, indem sie hier oder dort sitzen, indem sie sich in ihm bewegen, indem sie in ihm singen usw. Der Raum lenkt unsere Wahrnehmung, indem er nicht nur unseren Sehsinn, sondern auch alle anderen Sinne anspricht.

Was ist Raumkompetenz? Es bedeutet, die Potenz eines Raumes zu kennen und diese Potenz zu nutzen. Kirchenräume sind ein riesiges Kapital. Die Verantwortlichen dürfen mit diesem Kapital wuchern. Sie dürfen mit dem Raum spielen. Sie sollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass und in welcher Weise der Raum – neben Wort und Lied – eine Kraftquelle ist, die die Gottesdienstbesucher stärkt. Raumkompetenz bedeutet darüber hinaus, dass man sich im Klaren ist, dass die Kirche ein öffentlicher Ort ist, der auch einer nicht kirchlich sozialisierten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen soll. Die Kirche dient nicht nur der Gemeinde als Versammlungsraum, es ist ein Ort, dessen Erscheinungsbild auch nach aussen wirkt, der den öffentlichen Raum wesentlich mitprägt.

Der Kirchenraum und die Bilder in ihm haben – zusammen mit dem Wort und dem Gesang, mit Symbolhandlungen und allem, was an diesem Ort passiert –, die vornehme Aufgabe, die Augen zu öffnen für das, was letztlich unsichtbar bleibt, für Gott.

Veröffentlicht im Themenheft "Liturgische Kompetenz" in: konstruktiv. Theologisches aus Bern. Beilage zur Reformierten Presse Nr. 42/2011. Vollständige Fassung.

Johannes Stückelberger, Kunsthistoriker 

Praxis-Tipp

Liturgie und Bild. Eine Orientierungshilfe. Handreichung der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz, 23. April 1996 (Pdf)

Geistlicher Impuls

"Wir brauchen das Bauwerk, von dem der ganze Mensch angesprochen wird; wir brauchen Räume, die anspruchsvoll sind, die das Minderwertige nicht dulden, die durch den Hinweis auf die Größe Gottes Ehrfurcht fordern, Räume, durch die Maßstäbe gesetzt werden und die die Bedeutung von Großbauten der Banken, Versicherungen und Konzerne relativieren."

K. Wimmenauer

Lesetipp

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Bilder und Essays:
Europäischer Kirchenbau 1950-2000. Hg. von Wolfgang Jean Stock. Prestel Verlag Münschen 2002

Links

Johannes Stückelberger: Mitarbeiter im Kompetenzzentrum Liturgik, Bereich Kirchenästhetik

Schweizerische Lukasgesellschaft - Themenhefte Kunst und Kirche