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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Psalmen von Kindern gemalt thumbPsalmen

Mit den Psalmen lernt man nicht, vor Gott schön zu reden.

So gut wie alles, was im Menschen steckt, wird in den Psalmen Gott entgegengeschleudert, - gejubelt, -gebetet, -geklagt. Gott hält das aus.

„Singen will ich dem Herrn, solange ich lebe, meinem Gott will ich spielen, solange ich bin. Möge ihm mein Dichten gefallen! Ich aber, ich will mich freuen des Herrn." (Psalm 104,33f)

In diesen Schlussversen des 104. Psalmes zeigt sich schön das Selbstverständnis der Psalmen: Sie sind menschliche Rede und darum Dichtung, Poesie. Als Teil der Heiligen Schrift hören wir Psalmen aber als Gotteswort. In diesem doppelten Verständnis kommt ein wesentlicher Charakterzug der Psalmen zum Ausdruck: Psalmen sind dialogisch. Sie sind Gotteswort an uns Menschen und sie sind zugleich menschliche Antwort an Gott.

Psalmen sind altorientalische Lieder. Ihre Bilderwelt und Sprache sind nicht alle gleichermassen zugänglich und leicht zu verstehen. Wer die biblischen Psalmen zum ersten Mal zur Hand nimmt, ist oft fasziniert und zugleich irritiert. Der Psalmist lobt und preist Gott. Er vertraut ihm, klagt ihm sein Leid und bittet um Erlösung. Er äussert aber genauso offen seine Aggressionen, ist oft selbstgerecht und sieht sich rundum von Feinden und Krankheit bedroht.

Dennoch ist der Psalter das im Neuen Testament am häufigsten zitierte Buch der jüdischen Schrift. Der Jude Jesus hat Psalmen gelernt, gebetet und ist von ihnen geprägt worden. Die Psalmen haben den ersten Christen geholfen, die Sendung Jesu, seine Passion und die Erhöhung zu Gott in der Auferstehung zu deuten und so besser zu verstehen. So spricht der Auferstandene zu den Jüngern: „Alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich gesagt ist" (Lukas 24,44).

Psalmen als Gebet für jeden Tag

Als Poesie wollen Psalmen gesprochen, gesungen, gehört und meditiert werden. Seit dem 3./4. Jahrhundert gehören sie zum Kern der kirchlichen Gebetszeiten, welche den Tageslauf strukturieren. Viele Jahrhunderte lang wurden in den Klöstern als 150 Psalmen in einer Woche gehört und gebetet. Es ist hilfreich, drei Aspekte oder Sprech- und Hörrichtungen zu unterscheiden.

Psalmen sind zuerst einmal Wort Gottes, das an Menschen ergeht. Als prophetisches Wort wollen sie zu Herzen gehen. Deshalb werden Psalmen entweder von einem einzelnen Beter laut gesprochen, während die anderen Gottesdienstteilnehmer aufmerksam hören. Oder die Psalmen werden von zwei „Chören" abwechselnd gesungen und so einander zugesprochen. Die Psalmen bringen dem Beter Gott näher, wie treffend schon Papst Gregor der Grosse (+ 604) sagte: „Lerne das Herz Gottes in Gottes Wort kennen."

Wer sich das Wort Gottes zu Herzen nimmt, wird zu einer Antwort gedrängt. Viele Psalmen sprechen Gott unmittelbar an und sind direktes Gebetswort, in welchem sich auch der heutige Beter wiederfindet. Psalmen öffnen Menschen Gott gegenüber.

Als gutes Wort (vgl. Psalm 45,2 – siehe auch Psalmen unter Links) sind Psalmen aber auch Arznei der Seele. Weil vor Gott jeder menschlichen Regung Raum gegeben werden darf, können Psalmen erneut gehört werden als Gottes Antwort darauf. Sie schenken Trost, Klarheit und Heilung. Die meisten Klagepsalmen kennen einen markanten Stimmungsumschwung. Sie erzählen von Leid, das gewandelt, und von Not, die gelöst wird. Wer sich dem Psalmwort vertrauensvoll überlässt, den führt es diesen befreienden Weg.

Psalmen als Eucharistie

Die Erfahrung von Heil und Rettung drängt zu Danksagung und Gotteslob. Liturgie ist immer öffentlich gefeierter Lobpreis Gottes. Die vielen Psalmkompositionen der abendländischen Musiktradition machen deutlich, wie alle Jahrhunderte ihr Gotteslob mit Hilfe der Psalmworte ausgedrückt haben. Das gemeinsame Singen der Psalmen am Morgen und Abend ist ein Lobopfer, wie Psalm 141,2 sagt: „Als Rauchopfer gelte mein Beten vor dir, als Abendopfer gelte meiner Hände Erheben!"

Psalmen haben einen „eucharistischen" Charakter (griech. Eucharistia = Danksagung). Sie erinnern an die Grosstaten Gottes, rühmen und preisen sie. Indem sie Gott für sein Wirken danken, öffnen sie die Beter für die heilvolle Gegenwart Gottes, die jetzt im Leben des Beters wirksam werden will. Und die Psalmen blicken in die Zukunft. Trotz aller Not und Ungerechtigkeit in der Gegenwart schauen sie auf das Königtum Gottes und proklamieren: „Gott ist König der ganzen Erde. Spielt ihm ein Psalmenlied!" (Psalm 47,8). Letztlich geht es in den Psalmen wie auch in der Verkündigung Jesu um die Vollendung des Königreiches Gottes.

Psalmen als christliches Gebet?

Bilder und Gemälde wirken ganz verschieden, je nach dem, in welchen Rahmen sie eingefügt sind und in welchem Licht sie hängen. Das ist auch bei Psalmen so. Als alttestamentliche Gedichte werden sie in der christlichen Liturgie in einen neuen Rahmen hineingestellt. Sie werden über den alttestamentlichen Kontext hinaus mit neutestamentlichen Texten in Beziehung gesetzt. Psalmen – wie das ganze Alte Testament – erhellen einerseits die Schriften des Neuen Testamentes; andererseits werden sie im Licht des Christusglaubens neu gesehen und verstanden. Das mindert nicht den Eigenwert der Psalmen; vielmehr leuchten wie bei Diamanten neue Facetten auf, wenn man sie gegen ein anderes Licht hält.

Es gehörte schon zur Überzeugung der Antike, dass Texte mehrere Verstehens- und Sinnebenen haben. In christlicher Perspektive sprechen Psalmen auch über Christus. So zitiert zum Beispiel das Markusevangelium Psalm 118,26 und deutet die Stelle auf Jesus. Er ist der kommende Messias. „Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!" (Markus 11,9). Dieser Psalmvers ist in der Eucharistiefeier an das Dreimalheilig im Sanctus angefügt und macht deutlich, dass der eine Gott den Menschen in Jesus Christus heilvoll entgegenkommt.

Psalmen als Gebet Jesu

Wie Jesus selber Psalmen zu seinem Vater betete, so sprechen Christen mit ihm und durch ihn diese biblischen Gebete bis auf den heutigen Tag. Die Menschwerdung des Gottessohnes bedeutet für Christen, dass Jesus sich alle menschliche Not und Dunkelheit zu eigen gemacht hat und sie im (Psalm-)Gebet vor Gott, seinen himmlischen Vater, brachte. Das deutlichste Beispiel dafür ist Jesu Gebet am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" (Matthäus 27,46 mit Psalm 22,2).

Auch als der erhöhte Herr betet Christus weiter und tritt beim Vater für die Menschen ein. Der hl. Augustinus (354-430) sagt, der „ganze Christus – Haupt und Glieder" betet. Im Psalmgebet ist Christus als Haupt der Kirche mit all ihren Glieder geeint. Sie bringen solidarisch mit und für alle Menschen Klage, Lob und der Dank vor Gott. Dies ist Ausdruck der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art", welche die Jünger Christi sich zu eigen machen und durch Christus vor Gott aussprechen (vgl. Gaudium et Spes 1).

Psalmen können aber auch zu Christus gebetet werden. Das früheste Beispiel dafür ist Stefanus: „So steinigten sie Stefanus; er aber betete und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!" (Apostelgeschichte 7,59) Im Gebet des Stefanus klingt Psalm 31,6 an, den Jesus selber am Kreuz gebetet hat (Lukas 23,46). In dieser Verstehensweise ist Christus zum Herrn und Gott geworden, der durch den Psalmvers angesprochen wird.

Psalmen als Kennzeichen besonderer Zeiten

Schon früh wurden ausgewählte Psalmen mit bestimmten liturgischen Feiern und Zeiten verbunden. Ein paar wenige Beispiele: Psalm 22 hat als Sterbewort Jesu eine besondere Nähe zum Freitag; Psalm 47 ist ein Himmelfahrtspsalm ("Gott stieg empor unter Jubel" Vers 6); die Psalmen 18, 110 oder 118 haben einen österlichen Charakter und werden besonders am Sonntag verwendet. Bestimmte Psalmen sind mit Morgenfeiern verbunden (Psalm 5; 63; 92), andere passen zum Abend oder zur Nacht (Psalmen 4; 141; 134). Die Antwortpsalmen der Messe nehmen Bezug auf die vorangegangene Lesung und meditieren sie weiter. Es besteht also eine Wechselwirkung: So wie Psalmen helfen, das Christusgeheimnis zum Ausdruck bringen, so ist der jeweilige liturgische Rahmen eine Hilfe zum Psalmverständnis.

Psalmen als Gebetsschule

Es gibt keinen unaufmerksameren Beter als den Psalmisten. Er ist sprunghaft und scheint oft „nicht bei der Sache" zu sein. Aber so wie der Psalmist betet, so darf und soll gebetet werden: freimütig und offen, wie es der Geist eingibt. Psalmen abstrahieren nicht vom Leben und der Welt. Psalmen lehren, alles, was das Herz leicht oder schwer macht, vor Gott zur Sprache zu bringen. Psalmen reden davon, was beide, Gott und Beter, aktuell angeht.

Für den Kirchenvater Athanasius (ca. 300-373) sind die Psalmen ein Spiegel der menschlichen Seele, der jede Regung des Herzens reflektiert. Darum reden die Psalmen auch von den dunklen und unrühmlichen Seiten des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns. Sie bringen die Bedrängnisse und Nöte der Einzelnen wie der Gemeinde zum Ausdruck. Sie klagen über Not und Krankheit, Verfolgung und Verleumdung; sie eifern gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung; sie beklagen die Ungereimtheiten und Brüche des Lebens und klagen Gott selbst an; sie schreien ihm Leid und Ängste entgegen und erwarten seine Hilfe. Genauso intensiv jubeln Psalmen über Gott und danken ihm für seinen Beistand. Kurz: Mit den Psalmen lernt man nicht, vor Gott schön zu reden. Psalmen lehren, vor Gott wahrhaftig zu sein und darum wahr zu sprechen.

P. Gregor Brazerol OSB

 

Stichwort

  • „Psalm": griechisch für Saitenspiel, das vom Saitenspiel begleitete Lied.
  • „Psalter" = das biblische Buch der Psalmen (mit 150 einzelnen Psalmen); das Wort geht auf „Psalterium" zurück, das bei den alten Griechen ein Saiteninstrument (Leier, Harfe) war, zu dessen Begleitung Lieder gesungen wurden.
  • Hebräisch heisst das Psalmbuch: „Buch der Lobgesänge" oder „Buch der Preisungen" (Martin Buber).
  • Psalmen ausserhalb des Psalmbuchs: im Buch der Klagelieder, bei den Propheten und an vielen anderen Stellen des Alten Testaments, sowie im Neuen Testament zum Beispiel das Magnificat Marias (Lukas 2,46-55) und der Lobgesang der Zacharias (Lukas 2,68-79).

Praxis-Tipp

Wer in die Psalmen einsteigen will, beginnt am besten mit Psalm 1. Da heisst es am Anfang: „Wohl dem Mann, ... der Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht." Die Übersetzung „nachsinnen" ist zu kopflastig, gemeint ist vielmehr ein halblautes Murmeln. Das Wort Gottes will gehört werden! Wer mit den Psalmen anfangen will, liest sich die Psalmen von 1 bis 150 halblaut selber vor. Nicht bei Schwierigkeiten stecken bleiben, sondern sich durch alle Höhen und Tiefen führen lassen! Wenn man sich in einem Vers wiederfindet, dann kann man ihn den Tag hindurch öfter wiederholen und „wiederkäuen", wie die alten Mönche sagen. Auf diese Weise eignet man sich den Text an, verinnerlicht und verdaut ihn, so dass er zur geistlichen Nahrung wird. Wer bei Psalm 150 angelangt ist, beginnt einfach wieder von vorn.
Mit der Zeit kann man die Querverweise in der Bibel (z. B. Einheitsübersetzung in der Druckversion) nachschlagen. So führen die Psalmen selber durch die ganze Schrift und decken den ganzen biblischen Reichtum auf.

Geistlicher Impuls

Gebete und Lieder der Armen

"Für das Verständnis der Psalmen ist eines wichtig: Sie sind weitestgehend die Gebete und Lieder der Armen. Wir beten und singen sie dann richtig, wenn wir sie als Arme, mit den Armen und für die Armen beten und singen. Der Gott der Psalmen ist der Gott der Armen, der Gott für die Armen. Als solcher wird er in unserem Antwortpsalm gepriesen: „Recht verschafft er den Unterdrückten, den Hungernden gibt er Brot, der Herr befreit die Gefangenen. Der Herr öffnet den Blinden die Augen, er richtet die Gebeugten auf. Der Herr beschützt die Fremden und verhilft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht" (Ps 34.7-9a). Denn „ein Vater der Waisen, ein Anwalt der Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung. Gott bringt die Verlassenen heim", verschafft ihnen Heimat und Geborgenheit (Ps 68,6f). Deshalb wenden sie sich in ihrer Verlassenheit vertrauensvoll an ihn: „Du siehst es ja selbst, denn du schaust auf Unheil und Kummer. Der Schwache vertraut sich dir an; du bist den Verwaisten ein Helfer... Du verschaffst den Verwaisten und Bedrückten ihr Recht... (Ps 10,14.18)."

Notker Füglister OSB (gestorben 1996), aus einer Auslegung zu Ps 34

Facts

"Zunächst soll der Psalmenbeter dem Wortsinn getreu folgen und auf die Bedeutung des Textes für sich und sein Glaubensleben achten. Jeder Psalm ist zwar unter ganz bestimmten, jeweils verschiedenen Umständen verfasst worden (welche die später im hebräischen Text eingefügten Überschriften anzudeuten suchen) ; doch ungeachtet seines historischen Ursprungs hat er einen eigenen Sinn, den wir auch heute nicht übergehen dürfen. Obgleich diese Lieder vor langer Zeit von Menschen des Orients erstmals gesungen wurden, sprechen sie in zeitloser Form Schmerz und Hoffnung, Elend und Vertrauen der Menschen treffend aus und besingen den Glauben vor allem an Gott, an seine Offenbarung und Erlösung."

Allgemeine Einführung in das Stundenbuch Nr. 107

Lesetipp

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Arnold Stadler: Die Menschen lügen. Alle. Und andere Psalmen.

Notker Füglister: Das Psalmengebet.

Links

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Mit Psalmen leben (Themenheft)

Psalmen nach dem Text der Einheitsübersetzung