In der Schweiz wurde diese Übersetzung noch nicht eingeführt, um den reformierten Landeskirchen Gelegenheit zu geben, sich zu dieser neuen französischen Übersetzung zu verhalten und sie gegebenenfalls auch einzuführen. Papst Franziskus hatte sich am 6. Dezember zu Übersetzungen der sechsten Bitte (Meldung bei Radio Vatikan; Meldung auf kath.ch) geäussert und damit eine Debatte ausgelöst. Die Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ wurde seit den Anfängen der Theologiegeschichte unterschiedlich interpretiert – die Diskussion ist also alles andere als neu. Auch unter Exegeten gilt sie als die meist diskutierte Bitte.

In der aktuellen Diskussion wirkt die Frage skandalisierend, ob Gott in Versuchung führen könne. Der Papst antwortete darauf mit einem klaren Nein. So heisst es bereits im Neuen Testament: „Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung geführt. Denn Gott lässt sich nicht zum Bösen versuchen, er führt aber auch selbst niemanden in Versuchung.» (Jakobusbrief 1,13) Von einer Erprobung durch Gott spricht die Bibel in verschiedenen Zusammenhängen (Abraham, Hiob) im Hinblick auf den Glauben der Erprobten und keineswegs mit dem Ziel, diese zu Fall zu bringen – was dagegen der Intention des Bösen entsprechen würde. Wenn die aktuellen Diskussionen zu einer Vergewisserung über das biblische Gottesbild und einer Auseinandersetzung über Wirklichkeit des Bösen beitragen würden, wäre das ein wichtiger Beitrag zu einer jahrhundertealten und wohl jeder Generation neu aufgegebenen Frage.

Der heutige Wortlaut des Vaterunsers ist das Ergebnis einer ökumenischen Arbeit in den Jahren 1966/67. Erst seit dieser Zeit beten Christinnen und Christen fast aller Konfessionen im deutschsprachigen Gebiet das Vaterunser im selben Wortlaut. Die jüngsten deutschen Bibelübersetzungen übersetzten die Bitte (fast) genauso wie im gesprochenen Gebet: «Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.» (Matthäus 6,13 in der Zürcherbibel 2007 und Lutherbibel 2017) und «Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen!» (Einheitsübersetzung 1980 und 2016). Die revidierte Einheitsübersetzung von 2016 wurde von den Bischöfen des deutschen Sprachgebiets approbiert und in Rom bestätigt. Zu den exegetischen und theologischen Fragen verfasste P. Adrian Schenker op eine differenzierte Stellungnahme für liturgie.ch. Er wirkte auch an der revidierten Einheitsübersetzung mit.

Die Zuständigkeit der Bischofskonferenzen für liturgische Übersetzungen wurde mit dem Motu proprio "Magnum principium" vom 3. Sept. 2017, gültig ab 1. Okt. 2017) gestärkt. Es ist derzeit nicht damit zu rechnen, dass die bisherige ökumenische Fassung durch die Bischofskonferenzen des deutschen Sprachgebiets in Frage gestellt wird. Lesen Sie dazu das Interview mit P. Peter Spichtig op.

Gunda Brüske, 13.12.2017