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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Matei Metlikovic Koenig David 1996 thumbAntwortpsalm

Gottes Wort hören und singen

Bei ihrer spirituellen Suche stossen Menschen immer wieder auf Psalmen. In der Messe ist vor allem der Antwortpsalm als kommunikatives Ereignis wieder neu zu entdecken. 

Der Antwortpsalm ist der hauptsächliche Psalm der Messe, denn im Unterschied zu anderen Psalmgesängen begleitet er nicht nur eine liturgische Handlung, sondern zieht als eigenständiges Element die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung auf sich.
Ihm kommt eine anspruchsvolle liturgische Aufgabe zu, denn in dem einen Gesang verbinden sich drei Momente: die Verkündigung des Wortes Gottes, dessen meditative Aneignung und die Antwort der Gemeinde darauf.
Was während Jahrhunderten ein musikalischer Höhepunkt der Wortverkündigung war, ist in der heutigen Praxis allerdings häufig kaum mehr als ein kurzes Intermezzo zwischen zwei Lesungen. Vor allem im deutschen Sprachraum ist der Antwortpsalm noch nicht richtig heimisch geworden und wird regelmässig durch ein Gemeindelied oder durch meditatives Orgelspiel ersetzt.

Responsoriales Singen

Dabei gehört der Psalm zu den ältesten und wichtigsten Gesangselementen der Messe. In der Frühzeit der Kirche trug ihn der Psalmist auf der Basis eines musikalischen Modells frei improvisierend vor. Der Kehrvers der Gemeinde bestand meistens aus einem Halleluja oder einem Versteil des jeweiligen Psalms. Diese responsoriale Art des Psalmensingen (lateinisch: respondere = antworten) war vor allem vom 4.-6. Jahrhundert sehr beliebt und weit verbreitet. Sie knüpfte an die jüdische Praxis an und scheint bereits in der Textgestalt mehrerer Psalmen auf, zum Beispiel in Psalm 136:

Danket dem Herrn, denn er ist gütig,
denn seine Huld währt ewig!
Danket dem Gott aller Götter,
denn seine Huld währt ewig!
Danket dem Herrn aller Herren,
denn seine Huld währt ewig!
...

Man muss sich das wechselseitige Singen als sehr lebendig und spontan vorstellen. Es handelt sich um eine einfache gemeinschaftliche Ausdrucksweise, wie wir sie vor allem aus Volksliedern und Spirituals kennen, die uns aber auch in Fangesängen an Sportveranstaltungen begegnet.

Graduale

Im Mittelalter entwickelten die hoch angesehenen Kantoren die Musik weiter. Mehr Musik bedeutete weniger Text: Der Gradualpsalm (lateinisch: gradus = Stufen; von den Stufen zum Ambo zu singen) bestand in der Regel nur noch aus zwei Psalmversen. Die Auswahl dieser Verse war allerdings nicht bloss das Resultat willkürlicher Kürzungen, sondern ein durchdachter, kreativer Vorgang, der nur vor dem Hintergrund einer grossen Vertrautheit mit den Psalmen zu verstehen ist. Das Graduale entstand aus der intensiven theologischen und spirituellen Beschäftigung mit den biblischen Psalmen und stellt in seiner organischen Verbindung von Text und Musik eine Hochform liturgischen Gesangs dar.
Später büsste der Wortgottesdienst und mit ihm der Psalm und das Kantorenamt an Bedeutung ein. Nachdem bereits die Beteiligung der Gemeinde weggefallen war, ging schliesslich auch die responsoriale Ausführung ganz verloren. Das vom Chor gesungene Graduale erhielt den Charakter eines besinnlichen Zwischengesangs.

Wiedergewinnung der Ursprungsgestalt

Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils hob wieder stärker den Verkündigungscharakter des Psalms im Wortgottesdienst hervor. Auch das wechselseitige Singen zwischen VorsängerIn und Gemeinde stellte man nach altkirchlichem Vorbild wieder her. Von dieser Vortragsweise erhielt der Psalm die Bezeichnung „Antwortpsalm".
Das Lektionar sieht für jede Messfeier einen Psalm nach der ersten Lesung vor, auf die er sich meistens inhaltlich bezieht. Der Psalm schlägt eine Brücke von der alttestamentlichen zur neutestamentlichen Lesung. Um das Singen zu erleichtern, ist es möglich, einen anderen passenden Psalm und Kehrvers zu wählen.

Existentielle Dimension der Psalmen

Der Text des Antwortpsalms entstammt der Heiligen Schrift. Darum wird er – wie die biblischen Lesungen – vom Ambo aus vorgetragen. Weil aber die Psalmen ursprünglich Gesänge sind, unterscheiden sie sich wesentlich von anderen biblischen Texten. Bischof Athanasius von Alexandrien beschreibt im 4. Jahrhundert seine Erfahrungen mit dem Buch der Psalmen (Psalter) wie folgt:

„Was die Heiligen (Schriftsteller) reden und wovon sie sprechen, das beziehen die Leser auf die Personen, von denen berichtet wird, und die Hörer halten sich für andere als die, von denen die Rede ist. Die berichteten Taten erwecken lediglich Bewunderung und das Verlangen, sie nachzuahmen. Anders jedoch, wenn du den Psalter in die Hand nimmst. ... Wer die Psalmen liest, wird zerknirscht, wie jemand, der selber so redet, er wird durch die Worte der Lieder in die gleiche innere Stimmung versetzt, wie wenn es seine eigenen, persönlichen wären ... Ich bin der Ansicht, dass in den Worten dieses Buches das ganze menschliche Leben, sowohl die geistlichen Grundhaltungen als auch die jeweiligen ‚Bewegungen' und Gedanken umfasst und enthalten sind. Nichts kann darüber hinaus im Menschen gefunden werden ..."

Die Kirche hat seit jeher Psalmen in der Liturgie verwendet, um „Gott mit seinen eigenen Worten zu antworten" (Joseph Gelineau). Zusammen mit anderen biblischen Gesängen bilden die Psalmen die Grundlage der Tagzeitenliturgie. Doch anders als im Mittelalter ist ihr Bekanntheitsgrad heute auch unter Christen gering. Für die meisten Zeitgenossen sind die Psalmen unbekannte und fremde Texte aus längst vergangenen Zeiten.
Der Antwortpsalm hat es unter diesen Umständen nicht leicht, den ihm von der Liturgiereform zugewiesenen Platz als „wesentliches Element des Wortgottesdienstes" zurückzugewinnen.
Trotzdem: Die Psalmen haben nichts von ihrer Lebendigkeit eingebüsst. Wer sich auf sie einlässt, spürt in der konkreten Bildersprache und in der rhythmischen Dynamik eine grosse emotionale Tiefe und existentielle Kraft.

Liturgischer Dialog

Im Unterschied zu anderen biblischen Texten wird in den Psalmen nicht aus einer gewissen Distanz über Ereignisse und Personen berichtet. In ihnen findet ein Dialog statt, es kommt eine Beziehung zum Ausdruck, in die Vortragende und Hörende gleichermassen hineingenommen werden.
Beim Wechselgesang des Antwortpsalms gewinnt dieser Dialog an Lebendigkeit und Intensität, besonders wenn dabei Soloverse und Gemeinderuf musikalisch so aufeinander bezogen sind, dass ein einziges gemeinsames Singerlebnis entsteht.
„Die responsoriale Psalmodie ist das Abbild des unaufhörlichen Dialoges, den Bräutigam und Braut in der Liturgie führen", schreibt der französische Jesuit Joseph Gelineau, einer der Förderer des Antwortpsalms. Dieser Dialog zwischen Gott und Mensch zeichnet die Liturgie im Allgemeinen und den Wortgottesdienst im Besonderen aus: „In der Liturgie spricht Gott zu seinem Volk; in ihr verkündet Christus noch immer die Frohe Botschaft. Das Volk aber antwortet mit Gesang und Gebet." (Zweites Vatikanisches Konzil, Liturgiekonstitution Artikel 33).

Josef-Anton Willa

 

Stichwort

  • Der Antwortpsalm ist ein wesentliches Element des Wortgottesdienstes der Messe.
  • Er hat seinen Platz nach der ersten Lesung.
  • Der Name „Antwortpsalm" bezieht sich auf die Vortragsweise: Ein Psalmsänger oder eine Kantorin singt einen oder mehrere Psalmverse vor, die ganze Gemeinde antwortet jeweils mit einem gleichbleibenden Kehrvers.
  • Diese responsoriale („antwortende") Form ist eine urtümliche Form gemeinschaftlichen Singens.
  • Sie bildet die dialogische Struktur der Liturgie ab.

Praxis-Tipp

Hilfsmittel zum Singen des Antwortpsalms finden Sie unserer Website unter Kirchenmusik.

Facts

„Auf die erste Lesung folgt der Antwortpsalm (Graduale), der ein wesentliches Element des Wortgottesdienstes ist. In der Regel soll man den im Lektionar angegebenen Psalm nehmen, weil sein Text mit den Lesungen in Zusammenhang steht, denn er ist im Hinblick auf sie ausgewählt. Damit jedoch die Gemeinde leichter einen Kehrvers zum Psalm singen kann, werden einige Antwortpsalmen für die einzelnen Zeiten des Kirchenjahres und für die verschiedenen Gruppen von Heiligenfesten angeboten, die man an Stelle des im Lektionar vorgesehenen Psalmes verwenden kann, wenn man den Psalm singen will.
Der Psalmsänger (Psalmist) singt am Ambo oder an einem anderen geeigneten Platz die Psalmverse. Die Gemeinde sitzt und hört zu; für gewöhnlich soll sie mit dem Kehrvers am Gesang teilnehmen, es sei denn, der Psalm wird nicht unterbrochen, das heisst ohne Kehrvers vorgetragen.
Für den Gesang kann man stattt des im Lektionar vorgesehenen Psalmes auch das Graduale aus dem Graduale Romanum oder den Antwort- beziehungsweise Hallelujapsalm aus dem Graduale Simplex in der jeweils angegebenen Form wählen."

Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch (1975) Nr. 36

Lesetipp

Josef-Anton Willa, Singen als liturgisches Geschehen. Dargestellt am Beispiel des ‚Antwortpsalms' in der Messfeier. Regensburg: Pustet, 2005.