Skip to main content

Musik

Kirche sein in symphonischer Gemeinschaft

Musik

Kirche sein in symphonischer Gemeinschaft

ML Leuchtturm 4 Kantoren 2«Kommt herbei, singt dem Herrn»
Ein Interview der SKZ mit Florian Kirchhofer 

Das gemeinsame Singen im Gottesdienst geht verloren. Es sind wenige, die mitsingen. Dieser Entwicklung will die «Singanimation»1 konstruktiv begegnen. Die SKZ sprach mit Florian Kirchhofer über das Projekt und seine Erfahrungen.

«Kommt herbei, singt dem Herrn»beim Einzug wiederholt gesungen, töne wie Glockengeläute. Es rufe die Menschen zum Gottesdienst und stimme sie auf die Feier ein, so Florian Kirchhofer. Er durfte mit der Projektstelle «Singanimation», welche für ein Jahr befristet war, im Mai 2022 starten. Diese wurde durch das Liturgische Institut der deutschsprachigen Schweiz geschaffen. Mit ihm treffe ich mich zu einem Gespräch über Singanimation.

SKZ: Herr Kirchhofer, was habe ich mir unter Singanimation vorzustellen?

Florian Kirchhofer: Singanimation ist ein weiter Begriff. Ich vergleiche die Singanimatorin/den Singanimator mit einem Motivator, der die Feiernden ermutigt, dies und jenes im Singen zu wagen. Ich mache die Erfahrung: Wenn jemand im Gottesdienst vorsingt, dann fühlen sich die Gläubigen sicherer und beginnen, mitzusingen. Eine Singanimatorin, ein Singanimator hat zur Aufgabe, die Freude am Singen zu wecken und die Gläubigen zum Mitsingen zu bewegen. Ihre tragende Stimme schenkt den Gläubigen Vertrauen und Mut, selbst zu singen. Ich habe die Singanimation im Pastoralraum «Mittlerer Leberberg» zehnmal geprobt und erste Erfahrungen gesammelt.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Singanimation ist enorm wirkungsvoll, viel stärker, als ich es erwartet habe. Die Rückmeldungen der Mitfeiernden waren durchwegs positiv. Sie haben es geschätzt, sich an einer sicheren Stimme anzuhängen. Sie freuten sich auch über die kurze gesprochene Motivation zur Liedeinleitung. Die Singanimation selbst begann schon vor der Feier mit der Willkommenskultur. Ich stand beim Eingang und habe den eintretenden Gläubigen das Kirchengesangbuch gereicht und sie eingeladen, mitzusingen. Bereits beim Erstkontakt an der Kirchentüre passierte viel. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel: Eine Frau mit drei Kindern kam gestresst durch die Kirchentüre. Ich begrüsste sie, gab ihr ein Kirchengesangbuch und lud sie zum Mitsingen ein. Am Schluss des Gottesdienstes gab sie mir die Rückmeldung, sie habe sich willkommen gefühlt: «Die Begrüssung hat mir Ruhe geschenkt und das Singen tat gut.» Bei ihr hat sich etwas im Gottesdienst verändert. Das ist das, was wir als Liturgisches Institut mit unserem Leitbild «Gott feiern verändert» erreichen wollen.

Die Singanimation ist neu. Wo sehen Sie Fragen und Herausforderungen?

Singanimation wirkt in einem vielfältigen Spannungsfeld. Einerseits ist es Aufgabe der Singanimatorin/des Singanimators, die Lieder einzuleiten und die Feierenden zu ermutigen, mitzusingen. Andererseits sollten möglichst wenig Regieanweisungen im Gottesdienst erfolgen. Wie kann er/sie dies lösen? Es ist möglich, die Liedansage mit einem inhaltlichen Wort zum Beispiel zum Kyrie oder Gloria zu verbinden. Ich darf hier auch das Emotionale einbringen. Das Halleluja vor dem Evangelium kann ich einleiten mit: «Wir erwarten den Höhepunkt des Wortgottesdienstes – das Evangelium. Wir stehen auf und heissen das Wort Gottes mit dem ‹Halleluja› freudig willkommen.» Solche Sätze habe eine starke Wirkung auf die Gläubigen. Sie merken auf, nehmen das, was jetzt im Gottesdienst folgt, anders wahr. Hingegen ist eine motivierende Liedansage beim Sanctus fehl am Platz. Hier wäre die Extramotivation des Singanimators störend. Die Motivation ist mit dem Schluss der Präfation gegeben: «... und singen mit den Chören der Engel das Lob deiner Herrlichkeit». Eine andere Frage ist jene nach dem Ort des Singanimators, der Singanimatorin im Kirchenraum. Wo steht der Singanimator? Es braucht einen separaten Ort, denn der Ambo ist Ort der Wortverkündigung. Ich kann mir vorstellen, dass der Ort auf der anderen Seite des Ambos geeignet wäre. Dies hängt natürlich mit dem Kirchenraum zusammen. Wir sind diesbezüglich mitten in der Diskussion für verschiedene Lösungen. Weiter messe ich dem Zusammenspiel von Organisten und Singanimatorinnen für das Gelingen eine hohe Bedeutung bei. Organistinnen und Singanimatoren führen gemeinsam die singende Gemeinde. Die Gemeinde singt mit oder bildlich gesprochen: Sie «sitzt auf». Damit sie es können, braucht es ein funktionierendes Zusammenspiel. Es ist ein Resonanzgeschehen. So eines braucht es auch zwischen Vorsteher und Organist und umgekehrt. Der Vorsteher kann das, was in ihm beim Orgelspiel zum Klingen kam, in Worten aufgreifen und die Organistin ein Echo auf die Predigt spielen. Dieses Zusammenspiel wünsche ich mir. Das macht den Gottesdienst für die Mitfeiernde stimmig und eindrücklich.

Was ist das Ziel der Singanimation?

Unser Ziel ist es, den Gemeindegesang zu fördern und zu erhalten. Sowohl in der reformierten als auch in der katholischen Kirche sehen wir, wie das gemeinsame Singen und das Liedgut verloren gehen. Dem wollen wir entgegenwirken. Darüber hinaus stiftet Singen Gemeinschaft. Singen ermöglicht im Gottesdienst Gemeinschaftserfahrung. Und mir ist wichtig, dass die Gläubigen mit einem positiven Gefühl aus dem Gottesdienst nach Hause gehen.

Ich habe gehört, dass die Pfarreien in der Westschweiz die Singanimation schon länger pflegen.

In der Westschweiz ist die Tradition mit Vorsänger und Gemeinde gut verankert. Sie haben in ihrem Liedgut auch viele Wechselgesänge. Die Gläubigen sind es gewohnt, dass ein Vorsänger im Gottesdienst mitwirkt. Der Vorsänger hat für mich hier die Funktion eines Kantors, der gleichzeitig zum Singen animiert.

Worin liegt der Unterschied zwischen Kantor und Singanimator?

Die Singanimation ist eher ehrenamtlich. Singanimatorinnen und Singanimatoren wirken im Gottesdienst unterstützend bei den Liedern aus dem Kirchengesangbuch. Sie singen mit der Gemeinde. Der Kantor ist Vorsänger. Er singt Psalmen und hat solistische Einsätze. Dies ist die erste Vision aus dem erarbeiteten Grundkonzept zur Singanimation, wie es dann in der Wirklichkeit wird, werden wir sehen und entsprechend anpassen. Jedenfalls wünsche ich mir, dass Kantorinnen und Kantoren sich in Singanimation weiterbilden.

Sie sprechen gerade den möglichen Teilnehmerkreis für Ihren Kurs zu Singanimation an.3 Für wen ist dieser Kurs gedacht?

Der Kurs ist offen für alle, die singen können und den Mut haben, vorne zu stehen. Eingeladen sind Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie Kantorinnen und Kantoren und Chorleitende. Kirchenmusikerinnen und -musiker, die diesen Kurs besuchen, können Multiplikatoren werden, in dem sie in ihrem Pastoralraum die Singanimation anschliessend etablieren und selbst Kurse vor Ort anbieten.

Was werden die Inhalte sein?

Neben der Willkommenskultur und der Art und Weise, wie ich den Einsatz zum Singen geben kann, sind mir zwei Themen wichtig. Beim einen geht es um die Frage: «Wie wirke ich vorne in der Kommunikation mit den Gläubigen?» Da schenke ich der Körperhaltung besondere Aufmerksamkeit. Beim anderen Thema lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedene Tools kennen, wie sie Menschen motivieren können, mitzusingen. Sie lernen, wie sie Lieder einleiten können, indem sie das Lied zum Beispiel mit dem Kirchenjahr verbinden oder ein Wort aus der Predigt aufgreifen und dieses in ihre Ankündigung einfliessen lassen. Ich nehme auf, was in mir während der Predigt Resonanz ausgelöst hat. Das geschieht spontan. Spontan im Gottesdienst zu reagieren, ist eine Kunst und Herausforderung. Im diesjährigen Osternachtgottesdient sassen die Gläubigen zum Schlusslied «Christus ist erstanden» (KG 439). Nach der ersten Strophe bat ich sie aufzustehen. Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Strophe war enorm. Die zweite Strophe und die folgenden tönten viel freudiger. Für mich heisst Singanimation, mutig ausprobieren und Schritt für Schritt vorwärtsgehen.
«Kommt herbei, singt dem Herrn … singend lasst uns vor ihn treten, mehr als Worte sagt ein Lied» (KG 43). Florian Kirchhofer ist das Emotionale wichtig. Der Gottesdienst sei reich an sinnlichen Elementen. Wenn sie bewusst und ehrlich eingesetzt werden, entfalten sie eine grosse Wirkung. Sie sagen mehr als Worte. Die Singanimation ist ein wertvoller Beitrag dazu.

Das Interview führte Maria Hässig, Redaktorin der Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ). Dieses wurde zuerst veröffentlicht in der Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ) Nr. 14/2023, S. 230-231.

1 Mehr Informationen unter Kurs Singanimation
2 KG 43, nur diese Sequenz des Refrains.
3 Kursinformationen siehe Fussnote 1

Download

Artikel «Kommt herbei, singt dem Herrn», SKZ 14/2023, S. 230-231