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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Passionszeit thumbÖsterliche Busszeit/Fastenzeit

In Sack und Asche oder mit Freude und Be-Geisterung?

„Fastenzeit" – das klingt wenig schmackhaft. Mit geistlicher Sehnsucht und Freude das heilige Osterfest erwarten - so dagegen der heilige Benedikt.

Zeit, wesentlich zu werden

Die vierzig Tage vor Ostern waren in der alten Kirche vor allem die Vorbereitungszeit der Taufanwärter. In der Osternacht wurden sie in die christliche Gemeinde aufgenommen. Die Regel des heiligen Benedikt ist von dieser Taufspiritualität geprägt. Er geht aber davon aus, dass ein Christ, wenn er einmal getauft ist, den Idealismus des Anfangs – „l'élan du coeur" – nicht durchhält und mit der Zeit an Schwung verliert. Das Leben des Christen nutzt sich im Alltag ab. Deshalb ist die österliche Busszeit eine Gelegenheit, wieder zur Quelle zurückzukehren. Wie ein Taufbewerber soll sich jeder Christ um die Gnade des Anfangs, um die Gnade der Taufe, mühen. Der Satz „Kehr um und glaube an das Evangelium", mit welchem er am Aschermittwoch in diese Zeit hinein geschickt wird, drückt diesen Neuanfang aus. In dieser Zeit geht es weniger um das Besondere und Ausserordentliche, schon gar nicht um asketische Sonder- und Spitzenleistungen, sondern darum, wieder den Anschluss an das Wesentliche des christlichen Lebens zu finden.

Zeit geistlichen Trainings

Mit dem religiösen Leben ist es wie mit dem Anfahren am Berg. Man muss Bremse und Kupplung loslassen und umgekehrt aufs Gas drücken, damit die Räder richtig ineinandergreifen und man vorwärts kommt, respektive nicht noch weiter zurückrollt. Loslassen und Intensivieren gehören beide zusammen, um zum Wesentlichen vorzudringen. All das loslassen, was uns im geistlichen Leben bremst, und all das mit grösserer Kraft tun, was uns Gott näher kommen lässt - so könnte man die gegenläufige Bewegung dieser Zeit beschreiben. Es geht also nicht um „Verzicht um des Verzichtes willen". Busse, Askese, Übung und Training sind kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, die Seelenkräfte zu stärken und das Ziel zu erreichen – ähnlich wie im Sport. Der Mönchsvater Benedikt lehrt, dies „in der Freude des Heiligen Geistes" zu tun. Diese Haltung entspricht der Mahnung Jesu in der Bergpredigt: „Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. ... Du aber salbe deinen Kopf, wenn du fastest, und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein [himmlischer] Vater, der auch das Verborgene sieht " (Mt 6,16-18).

Zeit Gottes – vierzig Tage in der Bibel

Die Zahl Vierzig taucht in der Bibel immer wieder an bedeutsamen Stellen auf. „Vierzig Tage" oder sogar „vierzig Jahre" meint den „Zeitabschnitt, der von Gott gegeben und festgesetzt ist". So führte Gott sein Volk Israel vierzig Jahre durch die Wüste heraus aus der Sklaverei und Unterdrückung, hinein in die Freiheit und ins Gelobte Land (vgl. die Bücher Exodus bis Deuteronomium). Der Prophet Elija wanderte vierzig Tage in die Wüste hinein zum Gottesberg Horeb, um dort Gott selbst „in der Stimme verschwebenden Schweigens" (M. Buber) zu begegnen (vgl. 1 Kön 19,9-18). Schliesslich wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt und bewährte sich dort in der Versuchung des Teufels (Evangelium am 1. Fastensonntag). Diese Zeit können wir als Vorbereitung auf sein öffentliches Wirken verstehen (vgl. Mk 1,12f). In allen Beispielen wirkt die Wüstenerfahrung läuternd und befreiend. Die vierzig Tage oder Jahre sind die gottgeschenkte Zeit, in der Altes zurückgelassen und Neues vorbereitet wird.

Zeit der Einführung und der Erneuerung

Die vierzig Tage vor Ostern waren in der frühen Kirche vor allem für zwei Gruppen von Menschen eine intensive Zeit der Hinführung zu Gott. Einmal sollten die Täuflinge auf die Eingliederung in die Kirche vorbereitet werden, denn in der Osternacht wurden sie getauft.
Die vierzig Tage dienten auch als Zeit der Aussöhnung für alle, denen eine öffentliche Busse auferlegt worden war. Von Beginn der österlichen Busszeit an, wurden sie nach dem Wortgottesdienst entlassen. Die Eucharistie haben sie also nicht mitgefeiert. Am Donnerstag vor Ostern, dem Hohen Donnerstag oder Gründonnerstag, wurde ihnen wieder die volle kirchliche Gemeinschaft gewährt: Sie durften die Osterkommunion empfangen. Die österliche Busszeit hat diesen doppelten Charakter der Initiation und Erneuerung des Glaubens bewahrt. In diesem Sinn ist die österliche Busszeit eine persönliche Wüstenzeit, in der Menschen die Nähe Gottes im eigenen Leben suchen.
Vom Aschermittwoch bis zur Osternacht vergehen mehr als vierzig Tage. Wieso hat die österliche Busszeit dennoch vierzig Tage? Die Sonntage der Fastenzeit wurden nicht mitgezählt, da an jedem Sonntag die Auferstehung Jesu gefeiert wird. An diesem Tag kann nicht gefastet werden! Das ergibt 36 Tage. Nimmt man vier Tage vor dem 1. Fastensonntag hinzu und beginnt mit dem Aschermittwoch, so ergeben sich genau vierzig Tage: die biblische Zahl für eine Zeit des Heils.

Zeit der Gnade

Die zweite Präfation für die Fastenzeit beginnt mit den Worten: „Wir danken dir, Vater im Himmel und rühmen deinen heiligen Namen. Denn jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt sind die Tage des Heiles". Die Liturgie greift hier auf einen Gedanken des heiligen Paulus im Zweiten Korintherbrief zurück. Der Apostel spricht von seinem Auftrag, den er so zusammenfasst: „Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!" (2 Kor 5,20, Lesung am Aschermittwoch). Diesen Auftrag haben er und seine Mitarbeiter unbedingt und unverzüglich zu erfüllen; nichts darf und kann sie davon abhalten. Denn die Zeit, in der Gott sein Heil wirkt, ist das „Jetzt und Heute". Deshalb sagt Paulus: „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung" (2 Kor 6,2, Lesung am Aschermittwoch). Dieses „Jetzt" Gottes ist aber auch den Christen gesagt.
Wie verwirklicht sich dieses „Jetzt", das für uns „Zeit der Gnade" sein will? Einmal erfüllt sich dieses Wort in der Liturgie. Sie ist die Zeit (und der Ort) der Gegenwart Gottes schlechthin. In den gottesdienstlichen Feiern aller Art steht der Christ unmittelbar vor dem geheimnisvoll anwesenden Gott. Darum gehört zur österlichen Vorbereitungszeit die Pflege der gemeinsamen Gottesdienste, der persönlichen Gebete und gerade auch des Busssakramentes.
Hier und jetzt gegenwärtig ist Gott besonders auch in der Heiligen Schrift. Der heilige Benedikt lässt jeden Morgen zu Beginn des Psalmgebetes Psalm 95 singen, in dem es heisst: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht" (Ps 95,7f). Wer sich dem Wort Gottes in der Bibel öffnet, dem ist Gott selbst präsent. Eine regelmässige persönliche Bibellesezeit kann als kleine Liturgie ausgestaltet werden, indem man z. B. eine Meditationsecke schön gestaltet und die Lesung mit einem Gebet rahmt.

Zeit, das Evangelium solidarisch zu leben

Gottesdienst und Menschendienst gehören zuinnerst zusammen; die Gottesbeziehung drängt zu einer Praxis, die mit den Nöten und Sorgen der Menschen solidarisch ist. Hier ist der Ort von Verzicht und Selbstbeherrschung. Um im Bild der Wüsten zu bleiben: Wer vorwärts kommen will, muss sich - negativ - von jedem überflüssigen Ballast und Plunder befreien und gleichzeitig - positiv - seine Güter mit allen teilen, die gemeinsam auf dem Weg sind. Diese Solidarität ist die praktische Umsetzung der göttlichen Solidarität mit uns Menschen. Die Erfahrung, dass Gott mit seinem Volk durch die Wüste hindurch unterwegs zur Freiheit ist, dass er sein Volk auch in der Wüste mit Nahrung versorgt hat, ist zu der alles prägenden Gotteserfahrung Israels geworden. Ihr entspricht die christliche Ostererfahrung, dass Gott durch den Tod hindurch zum Leben führt. Im Teilen mit den Bedürftigen dieser Welt werden diese Gotteserfahrungen in die heutige Zeit übersetzt. Das Tun des Guten ist „Zeit der Gnade", weil Gott selbst als hilfsbedürftiger Nächster auf uns zu kommt und wir dem Hilfsbedürftigen Nächster sein und die Liebe Gottes weitergeben dürfen.

Zeit der Freude

Verzicht, Gebet und Werke der Liebe sind die klassischen Dinge, auf die in der österlichen Busszeit ein besonderes Augenmerk gelegt wird. Alle drei Aspekte sind aufeinander bezogen, greifen ineinander und ergänzen sich. In der ersten Präfation für die Fastenzeit wird gesagt, dass sie „die Gnade der [Gottes-]Kindschaft erneuern". Was in der Taufe mit dem Gläubigen geschehen ist, bedarf immer wieder der Erneuerung und Belebung. Das Mitgehen und Mitfeiern der vierzig Tage vor Ostern will dazu verhelfen. Die Übungen der Fastenzeit sind deshalb kein Selbstzweck, sondern wollen dem Ziel dienen, das in derselben Präfation genannt ist: „So führst du uns mit geläutertem Herzen zur österlichen Freude und zur Fülle des Lebens durch unseren Herrn Jesus Christus".

P. Gregor Brazerol OSB

 

Stichwort

  • Namen: lat. Quadragesima (40-Tage-Zeit); früher Fastenzeit, heute: österliche Busszeit, denn Ostern ist Ziel dieser Zeit
  • 40 Tage: wandert Elija zum Horeb, fastet Jesus in der Wüste
  • 40 Tage: ab 4. Jh. Vorbereitung auf die Taufe; Zeit öffentlicher Kirchenbusse
  • 40 Tage: ab Aschermittwoch bis zur Karsamstag ohne die 6 Sonntage = 40 Tage
  • Zeit geistlicher Erneuerung durch Gebet, geistliche Lesung, solidarische Praxis
  • kein Gloria und kein Halleluja in der Messe

Stichwort

Fasten und Ramadan

In unserer Nähe leben immer mehr Muslime, welche auch eine Fastenzeit kennen. Oft ist der Ernst und die Konsequenz, mit denen sie die entsprechenden Vorschriften einhalten, zu bewundern. Der Monat Ramadan gehört zu den fünf Säulen des Islam. Im Ramadan übt der Muslim ein, was das Wort Islam eigentlich bedeutet: die Hingabe an den Willen Gottes. Diese Gott-Ergebenheit äussert sich im Verzicht auf jegliche Nahrung während des Tages. Zum allabendlichen Essen werden Gäste eingeladen, besonders auch Arme. Viele Muslime spenden im Ramadan große Summen für einen guten Zweck. Auch die Versöhnung und die Koranrezitation haben ihre Zeit im Fastenmonat Ramadan.

Praxistipps

"Ohne ihn?"
Wort-Gottes-Feier in der Österlichen Busszeit mit Bussakt und Versöhnungszeichen

Brauchtum

Auch die Augen können fasten. So gab es seit dem Mittelalter den Brauch, Bilder und Kreuze am Sonntag vor dem Palmsonntag (früher Passionssonntag, heute 5. Fastensonntag) zu verhüllen. So entstanden die Fasten- oder Hungertücher. Sie wurden oft mit Darstellungen aus der Geschichte Gottes mit den Menschen geschmückt. Inzwischen gibt es viele neue Hungertücher: im Auftrag kirchlicher Hilfswerke entworfen oder als besondere Aktion in einer Pfarrei gestaltet, aber auch durch zeitgenössische Künstler geschaffen. Vielleicht ist dieses Fasten der Augen in unserer bildübersättigten Lebenswelt besonders wichtig. Die Augen üben, Gewohntes loszulassen, um neu und anders zu sehen.

Geistlicher Impuls

verhüllung-enthüllung-vorhang
ein anderes hungertuch
eine theologie des vorhangs

Wilhelm Willms (1930 - 2002)

Text mit freundlicher Genehmigung des Verlages Butzon & Bercker

Facts

„Die Fastenzeit (österliche Busszeit) dient der Vorbereitung auf die Feier des Todes und der Auferstehung Christi. Katechumenen und Gläubige bereitet die Liturgie der vierzig Tage zur Feier des Ostergeheimnisses: die einen durch die verschiedenen Stufen der Aufnahme in die Kirche, die anderen durch Taufgedächtnis und tätige Busse."

Der Römische Kalender (1969) Nr. 27

Links

Liturgische Texte
Material der Fastenaktion