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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Freies Glasbild thumbLaudes/Morgenlob

"Alles, was Atem hat, lobe den Herren"

2008 ergab eine Umfrage: Für 16% ist die Kirche Ort spiritueller Erfahrung, für 41% dagegen die Natur. Kirche und Natur sind aber keine Gegensätze. Gerade in der Liturgie lebt die Kirche im Rhythmus der Natur und des Tages.

Prägende Zeiten

Die Laudes (lateinisch Plural von „Lob") gehören zur sogenannten „Tagzeiten-Liturgie", d.h. zu den Gebetsgottesdiensten, welche einer bestimmten Tageszeit zugeordnet sind. Die beiden Angelpunkte des Tages – Sonnenaufgang und Sonnenuntergang - sind auch die Angeln, um die sich ein bewusst gestalteter spiritueller Alltag dreht. Oder anders formuliert: Zu bestimmten Tageszeiten kehrt der Beter zu dem zurück, von dem der Psalmist sagt: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht" (Psalm 36,10). Aus dieser Mitte will er Kraft und Leben schöpfen.

Wer aus dieser biblischen Spiritualität lebt, will nicht den Tag oder die Zeit „heiligen". Vielmehr ist es umgekehrt: Die liturgisch gelebte und gefeierte Zeit bewirkt etwas bei denen, die beten: Sie verändert Menschen, die sich in die Gegenwart Gott stellen und sich ihm aussetzen. Denn die Zeit ist Gottes Geschöpf und damit – wie die ganze Schöpfung – von ihm gut geheissen, „bene dicta", d. h. gesegnet. In der Gebetszeit kehrt der Betende alleine oder in Gemeinschaft in den Zeit-Raum ein, der von Gott geschenkt und von seinem Wort geprägt ist. Von ihm kann man sich im Beten prägen lassen.

Schöpfung

Die Laudes werden am Morgen gefeiert. Der neue Tag beginnt ganz bewusst mit einem Lobpreis. Dieser Impuls gibt dem ganzen Tag seine Form. Er will den feiernden Menschen so verändern und verwandeln, dass er den Tag und Alltag aus dem Gotteslob heraus bestehen und gestalten kann.

Die Nacht geht zu Ende, der Morgen erwacht und damit die Natur. "Alles, was Atem hat, lobe den Herren." (Psalm 150,6) Stellvertretend für die ganze Schöpfung lobt der Mensch in den Laudes den Schöpfer, „der alles so herrlich regieret" (vgl. KG 524). Die Laudes singen Lob und Dank, dass Gott einen neuen Tag geschenkt hat.

Darin aktualisiert sich der Glaube: Die Schöpfung ist keine Angelegenheit, die einmalig vor Jahrmillionen passierte. Gott hat sein Werk nicht einfach dem Schicksal überlassen. Diese Welt läuft nicht wie ein gigantischer Mechanismus ab. Im morgendlichen Lob der ganzen Schöpfung liegt das Bekenntnis, dass der Schöpfer in jedem Augenblick seine Schöpfung will, bejaht und gut heisst, sie also immerwährend erschafft. Das, was „im Prinzip" und von Anfang an war, ist jeden Augenblick des Daseins so: Gott schafft Leben und schafft ihm einen Lebensraum. Damit spenden die Laudes den Betern Zuversicht und Kraft, denn Gott wird sie auch durch den kommenden Tag führen und tragen.

Der Morgen als Heilszeit

Der Morgen ist die Zeit der aufgehenden Sonne. Für Christen sind Gott und Natur nicht einfach identisch. Vielmehr erkennen sie in der Natur Spuren der Gegenwart Gottes, die gelesen und verstanden werden können.

Wer schon einmal eine Nacht durchwacht hat, hat das Licht des neuen Tags sicher froh und erleichtert begrüsst. Darum hat der Morgen auch in der Heiligen Schrift eine besondere Qualität, denn am Morgen geschieht die Wende vom Dunkel zum Licht und damit - im übertragenen Sinn – die Wende vom Unheil zum Heil. Dies wird etwa in der Erzählung vom Durchzug des Volkes Israel durch das Rote Meer deutlich (Exodus 14,21-27): Die ganze Nacht hindurch zog Israel auf der Flucht vor den Ägyptern durch das Meer, das den Weg freigab. Am Morgen dann fluteten die Wasser zurück und begruben die todbringenden Verfolger unter sich. Diese Rettungserfahrung feiern Israel und die Kirche bis auf den heutigen Tag am Osterfest. Eine ähnliche Erfahrung machten auch Daniel und seine Gefährten, welche eine ganze Nacht in der Löwengrube verbrachten und am Morgen daraus befreit wurden (vgl. Daniel 6,19-29). In den Psalmen erwähnt der Beter öfter, dass er gerade am Morgen um die Wende zum Guten betet, so zum Beispiel in Psalm 90,14: „Sättige uns am Morgen mit deiner Huld! Dann wollen wir jubeln und uns freuen all unsre Tage." Beides gehört zum Morgen: die Bitte um Rettung und auch der Lobpreis für die erfahrene Rettung.

Christus als Sonne des Heils

Die Rettungserfahrung des Volkes Israel ist auch die Rettungserfahrung Jesu Christi. Er lag in der tiefsten Nacht des Todes und ist am dritten Tage von den Toten auferstanden. Darum ist im Kontext der christlichen Liturgie die aufgehende Sonne immer auch ein Hinweis auf Christus, der als Auferstandener das Dunkel des Todes überwunden hat. Aus diesem Grund sind viele alte Kirchen nach Osten hin ausgerichtet. Die Hinwendung im Gebet zur aufgehenden Sonne macht deutlich, dass im Gottesdienst das Heil gefeiert wird, das Gott am Ostermorgen gewirkt hat. Aber gleichzeitig ist diese Gebetsrichtung Ausdruck der Hoffnung, dass Christus jedem Einzelnen aufgehen wird als Sonne des Heils.

Die Laudes feiern nicht nur jeden Tag den österlichen Glauben an die Auferstehung Jesu, sie sind vielmehr Lob und Dank dafür, dass das neue Leben jetzt schon begonnen hat, dass der neu erwachte Tag aus diesem Glauben heraus gelebt werden kann. In den Laudes loben wir nicht nur mit der Natur den Schöpfer, sondern wir loben den Gott, der das Heil in der Geschichte der Menschen wirkt. Christus ist von den Toten erstanden - der Mensch ist in den Laudes aufgerufen, selber zum neuen Leben zu erwachen. Das Aufstehen jeden Morgen ist auch ein Sinnbild der eigenen Auferstehung am Ende der Zeiten.

Gerechtigkeit – Gericht – Heil

Die Laudes feiern also die Überwindung des Dunkels. Dagegen kann man nüchtern einwenden, dass aber an jedem Morgen neu das Unheil und die Heilsbedürftigkeit der Welt deutlich zu Tage treten. Wenn das Morgenlob der Laudes nicht als weltfremd erscheinen will, muss ein weiterer Aspekt einbezogen werden, der auch zum Morgen gehört.

Der Morgen ist in den antiken Kulturen – und damit auch in der Bibel – der Zeitraum, in welchem man zu Gericht sitzt. Im Hintergrund steht wieder die Sonnensymbolik: So wie die Sonne alles, was auf Erden geschieht, mit ihrem Licht offen legt, so sollen im Rechtsverfahren Gerechtigkeit und Wahrheit ans Licht kommen. Wenn Gott für das Heil der Menschen sorgt, dann hat er auch dafür zu sorgen, dass kein Unrecht, keine Ungerechtigkeit im Verborgenen bleibt. Vielmehr muss er gerade dem Schwachen und Armen, der keinen anderen Helfer und Anwalt hat, zum Recht verhelfen. Von daher kann der Prophet Maleachi verheissen: „Für euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, und ihre Flügel bringen Heilung" (Maleachi 3, 20). Gott selber ist diese Sonne der Gerechtigkeit. Er geht über der Welt auf und tritt seine Herrschaft an wie die Sonne am Morgen.

Die Klage über das Unrecht in der Welt und die Bitte um das Gericht erwachsen letztlich aus dem Glauben, dass Gott die Gerechtigkeit durchsetzen und so ganz konkret Heil erfahrbar machen kann.

Gott gut heissen – von Gott gut geheissen sein

In diesem Sinn lässt sich auch das sogenannte „Benedictus" interpretieren, der neutestamentliche Lobgesang, welcher traditionellerweise am Ende der Laudes gesungen wird (vgl. Lukas 1,68-79). Die Bezeichnung stammt von den lateinischen Anfangsworten „Benedictus Deus Israel - Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels". In diesem Loblied wird Gott dafür gepriesen, dass er „sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen hat", indem er in Jesus Christus „einen starken Retter erweckt" hat. Jesus „hat uns errettet vor unseren Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen", er hat uns „aus Feindeshand befreit". Genau besehen sind das kriegerische Bilder - Bilder, die vom Kampf zwischen Gut und Böse sprechen. Hier wird deutlich, dass das Heil durch das Gericht geschieht, welches Gott über die unheilvollen Kräfte in der Welt hält.

Damit erhebt sich der Beter nicht selbstgerecht über den Rest der Welt. Gerade am Beginn eines neuen Tages stellt er sich selber auch unter das Gericht Gottes. Auch sein Tun und Lassen stehen unter dem Anspruch der göttlichen Gerechtigkeit. Es kann durchaus heilsam sein, die Unternehmungen und Vorhaben des beginnenden Tages mit dieser Perspektive anzugehen.

Das „Benedictus" spricht aber auch davon, dass der Mensch, der sich unter dem Gericht Gottes weiss, auf seine Barmherzigkeit hofft. Denn „die Erfahrung des Heils", mit der Gott sein Volk beschenkt, besteht in der „Vergebung der Sünden". Diese Sündenvergebung wird durch Jesus Christus erfahrbar, der auf diese Weise „die barmherzige Liebe unseres Gottes" offenbar macht. Wieder wird Christus mit dem Licht in Verbindung gebracht: „Besuchen wird uns das aufstrahlende Licht aus der Höhe".

Somit schliesst sich ein Kreis. So wie Gott seine Schöpfung gut geheissen hat, so heisst der Beter jeden Morgen seinen Gott gut. Er lobt und segnet ihn, weil der neue Tag der Gott geschenkte Zeitraum ist, in dem das göttliche Heil sichtbar und erfahrbar werden kann. Als von Gott Gesegneter kann er nun in den neuen Tag gehen.

P. Gregor Brazerol OSB

 

Wider-Worte

"Das Zeitunglesen des Morgens ist eine Art von realistischem Morgensegen. Man orientiert seine Haltung gegen die Welt an Gott oder an dem, was die Welt ist. Jenes gibt dieselbe Sicherheit, wie hier, dass man wisse, wie man daran sei."

Hegel

Geistlicher Impuls

Dienst des Lobes

"In den Fundamenten des Stundengebetes liegt eine Urerkenntnis, die das Christentum mit den anderen monotheistischen Religionen teilt (man denke etwa an das eindrucksvolle, vom Minarett herab angekündigtes Stundengebet im Islam): Gott muss gelobt werden – und zwar nicht irgendwann, wenn es uns danach zumute ist.

Jeder Tag, der aus seiner Hand kommt, weckt in uns die Antwort des Lobes und Dankes. Jeder Tag steht also unter dem Gesetz aus dem Vaterunser: Geheiligt werde deine Name. Deshalb liegen die Uransätze solchen täglichen Gotteslobes (wiederum nicht nur im Christentum) beim Sonnenaufgang und Sonnenuntergang."

Balthasar Fischer (1912-2001)

Facts

"Die Laudes als Morgengebet und die Vesper als Abendgebet, nach der ehrwürdigen Überlieferung der Gesamtkirche die beiden Angelpunkte des täglichen Stundengebetes, sollen als die vornehmsten Gebetsstunden angesehen und als solche gefeiert werden."

Allgemeine Einführung ins Stundenbuch Nr. 37

Musik

Morgenlied

1. Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr. Gott hält sich nicht verborgen, führt mir den Tag empor, daß ich mit seinem Worte begrüß das neue Licht. Schon an der Dämmrung Pforte ist er mir nah und spricht.

2. Er spricht wie an dem Tage, da er die Welt erschuf. ...

4. Er ist mir täglich nahe und spricht mich selbst gerecht. ...

5. Er will mich früh umhüllen mit seinem Wort und Licht, verheißen und erfüllen, damit mir nichts gebricht; will vollen Lohn mir zahlen, fragt nicht, ob ich versag. Sein Wort will helle strahlen, wie dunkel auch der Tag.

Jochen Klepper (1903-1942), nach Jes 50,4-8

Ablauf

EröffnungsversHymnus
Psalmodie: Morgenpsalm, Canticum aus dem Alten Testament, Lobpsalm (daher der Name Laudes von lat. laus = Lob)
Lesung und Responsorium
Benedictus
Bitten
Vaterunser
Schlussoration
Entlassung
(siehe auch KG 258-259)

Links

Allgemeine Einführung ins Stundenbuch

Bildimpuls zum Glasbild von Johannes Schreiter