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Musik

Kirche sein in symphonischer Gemeinschaft

Musik

Kirche sein in symphonischer Gemeinschaft

Kirchengesang thumbMehr als Worte sagt ein Lied

Was Singen für den Glauben bedeuten

Die Reihe "Mehr als Worte sagt ein Lied" wurde 2014 im forumKirche veröffentlicht. Wir freuen uns, Sie nun mit diesen Liedimpulsen durch das Jahr 2016 zu begleiten.

Die kurzen Liedimpulse, verfasst von Mitarbeitenden des Liturgischen Instituts, wollen auf den spirituellen Reichtum christlichen Liedguts aufmerksam machen. Sie mögen Leserinnen und Leser auch dazu motivieren, die Lieder, alte und neue, bekannte und solche, die zu entdecken es sich lohnt, bewusst und mit frischem Elan zu hören und zu singen.

Einleitende Gedanken von Josef-Anton Willa, Mitarbeiter am LI bis September 2015:

Silvester. Mitternacht. Ökumenischer Gottesdienst zum Jahreswechsel. Wir singen ein Lied: "Wir gehn dahin und wandern, von einem Jahr zum andern; wir leben und gedeihen, vom alten zu dem neuen, durch so viel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen, durch Krieg und grosse Schrecken, die alle Welt bedecken." (Reformiertes Gesangbuch 548). Ein altes Lied, wie die Sprache verrät. Der Text stammt aus dem 17. Jahrhundert, doch was er beschreibt, passt durchaus in unsereZeit. Das Lied berührt mich, nicht allein der Text, sondern dass wir das Lied gemeinsam singen. Woran liegt das?

"Wir singen ein Lied, und das Lied singt von uns", sagt der Philosoph Hans Schmid. Das Lied hat eine besondere Eigenschaft: Es macht etwas mit denen, die es singen. Es berichtet nicht bloss sachlich, es erzählt nicht nur eine Gegebenheit aus eventuell längst vergangenen Tagen, sondern es sagt etwas über uns, die das Lied gerade singen: über das, was wir denken, fühlen, fürchten, hoffen, glauben. Im Gesang identifizieren wir uns ein Stück weit mit der Botschaft des Liedes, mit den Menschen, die es mit uns zusammen singen und mit denen, die es vor uns gesungen haben. Die Übereinstimmung denken wir uns nicht nur aus, sie geschieht tatsächlich, emotional und persönlich. Wer dazu nicht bereit ist, wird nur ungern oder gar nicht mitsingen.

Grösserer Zusammenhang

Während ich in das Neujahrslied einstimme, wird mir bewusst: Das haben Menschen schon vor bald 400 Jahren gesungen. Ihre Bitte von damals können wir ohne weiteres für uns übernehmen: "...und lass an allen Orten auf so viel Blutvergiessen die Friedensströme fliessen." Ihre Wünsche zum Jahreswechsel sind auch unsere Wünsche: "Sprich deinen milden Segen zu allen unsern Wegen; lass Grossen auch und Kleinen die Gnadensonne scheinen." Singend nehme ich wahr, dass mein Leben, das Leben derer, die den Gottesdienst mitfeiern, in einem grösseren Zusammenhang steht, darin aufgehoben ist. Meine eigene Welt, meine Sorgen und Pläne werden dadurch relativiert, verlieren an Bedeutungsschwere. Vom gemeinsamen Singen geht etwas Tröstliches, Bestärkendes aus: Wir spüren, dass wir, die hier und jetzt leben, nicht allein sind, zufällig hineingeworfen in diese Welt, ausgesetzt den Wirren der Zeit; wir fühlen uns zugehörig zu einer grossen Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern im Glauben, vereint im gleichen Vertrauen und in einer gemeinsamen Hoffnung. Das Singen verbindet Menschen über Generationen, ja über Raum und Zeit hinweg.

Emotionen ausdrücken

Weihnachten ist die hohe Zeit der Lieder. Das emotional wichtigste Fest im Jahr wäre nicht, was es ist, ohne das Singen und Musizieren in Familien, Schulen und Kirchen, auf Märkten, Strassen und Plätzen. Mit dem Ende der Festtage verklingen die Lieder weitgehend. Für viele Menschen bleibt Singen aber ein Bedürfnis, auch wenn heutzutage die Gelegenheiten dazu im Lebensalltag häufig fehlen. Singen gehört zum Menschen, es ist seine «eigentliche Muttersprache» (Hermann Rauhe), die es ihm ermöglicht, die unterschiedlichsten Emotionen zu artikulieren und zu verarbeiten. JederMensch trägt die Fähigkeit zum Singen in sich. Ein Sprichwort drückt dies so aus: "Wenn du gehen kannst, kannst du tanzen. Wenn du sprechen kannst, kannst du singen." Wann und wo singen Sie? Unter der Dusche, im Auto, auf dem Fussballplatz, im Gospel- oder Kirchenchor? Die Kirche ist einer der wenigen Orte, wo heute noch ungezwungen und ohne besondere musikalische Ansprüche und Erwartungen das Singen gepflegt wird, nicht nur an Weihnachten und Neujahr, sondern das ganze Jahr über. Ohne

Gesang gäbe es keine christliche Gemeinschaft. 

Lieder singen vom Glauben

Christinnen und Christen können nicht anders, als ihre Glaubenserfahrungen, Freude und Dankbarkeit ebenso wie Bitte und Klage, mit lauter Stimme, in Form des Gesangs, miteinander zu teilen und vor Gott zu tragen. Denn was sich nicht allein in Worte fassen lässt, davon singt ein Lied. Singen ist eine intensive Form des Betens, ein Beten mit Leib und Seele. "Wer singt, betet doppelt", soll der Kirchenlehrer Augustinus gesagt haben. Die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus erschienen ist, betrifft uns existentiell. Sie ist zu grossartig, als dass sie mit nüchtern sachlicher Sprechstimme weitergesagt werden kann; sie mussjubelnd und singend verkündet werden. Davon zeugt das Gloria der Engel an Weihnachten ebenso wie das Halleluja an Ostern. Gesänge begleiten die Christinnen und Christen durchs Leben. Sie geben den verschiedenen Festen, Zeiten und Anlässen einen je eigenen Charakter und machen deren Bedeutung intuitiv fassbar.

Psalmen und Hymnen

Über die Jahrhunderte sind in der Kirche ein grosser Schatz an Liedern und eine Vielfalt an unterschiedlichen Gesangsformen entstanden. In ihnen sind Lebens- und Glaubenserfahrungen "gespeichert", die wieder lebendig werden, jedes Mal wenn wir uns die Lieder singend und hörend zu Eigen machen. Die ältesten Lieder – Psalmen, Hymnen und Cantica – stammen aus biblischer Zeit. Ihre Texte bilden bis heute die Grundlage und Inspirationsquelle christlichen Gesangs. Zum bestehenden Liedgut kommen ständig neue Gesänge hinzu, denn der Glaube heutiger Menschen verlangt nach einer zeitgemässen sprachlichen und musikalischen Gestalt. In der Verbindung von Wort und Musik sagen die Gesänge oft mehr aus über Gott, Mensch und Welt, als es gelehrige Abhandlungen tun. Während der Text beschreibt, wem und was Christinnen und Christen glauben, zeigt die Musik, dass und wie sie glauben, was der Glaube für sie bedeutet.

Josef-Anton Willa