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Kirche sein in Ereignissen und Entwicklungen

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Zur Diskussion der Übersetzung des "Vaterunser"

Eine Stellungnahme

Auf Französisch wird das Gebet des Herrn künftig mit einer leicht abgeänderten Übersetzung der sechsten Bitte gebetet. In den Medien ist darüber in den letzten Tagen eine Diskussion entstanden. Eine sorgfältige Analyse zeigt: beide Übersetzungen sind möglich und theologisch legitim.

Und die deutsche ist durch die Revision der Einheitsübersetzung eben erst bestätigt worden. Der Fribourger Alttestamentler P. Adrian Schenker op* erläutert die beiden Deutungstraditionen.

Wie ist die sechste Vater-Unser-Bitte "Führe uns nicht in Versuchung" richtig zu verstehen?

Die Antwort hat eine sprachliche und eine theologische Seite. Es ist vorteilhaft, beide Seiten zu unterscheiden:

1. Die sprachliche Seite

Das Wort ”Versuchung” meint eine Probe, einen Test, ein Examen, eine Untersuchung. Auf die Probe stellen heisst, die Beschaffenheit oder die Qualität einer Person oder einer Sache prüfen. „In Versuchung führen” ist das Gleiche wie “auf die Probe stellen”.

Jesus hat nach dem Matthäus- und Lukasevangelium, die auf Griechisch geschrieben sind, den Ausdruck gebraucht: „bringe uns nicht in die Versuchung hinein”. Das haben dann die Christen wenig später auf lateinisch ganz wörtlich so übersetzt: „ne nos inducas in tentationem”, was wieder ganz wörtlich auf deutsch übertragen wurde: „führe uns nicht in Versuchung”. Das sind richtige Übersetzungen.

Jesus selbst hat das Vater-Unser aber auf aramäisch oder auf hebräisch geschaffen und es seine Jünger und Jüngerinnen in einer dieser beiden Sprachen gelehrt. Das Aramäische war seine Muttersprache, das Hebräische die Gebetssprache im Gottesdienst der Synagoge. In diesen beiden Sprachen hiess die Bitte in ganz wörtlicher Übertragung entweder: „lass uns nicht in Versuchung kommen” oder: „mach, dass wir nicht in Versuchung kommen”. Beide Übersetzungen, beide Verständnisse sind möglich und daher auch richtig. Welches Verständnis hat Jesus gemeint? Mir scheint, beide. Denn sonst hätte er eine andere, eindeutige Formulierung gewählt!

Das erste Verständnis bedeutet: „erspare uns die Versuchung”. Denn sie wäre für uns zu gefährlich. Es könnte sein, dass wir darin versagen und umkommen. Diese Formulierung lässt offen, wer die Versuchung verursacht, ob Gott selbst oder ob es der Versucher ist.
Das zweite Verständnis bedeutet: „verhindere, dass wir versucht werden”. In diesem Verständnis ist es klar, dass es der Versucher, der Böse, der Satan ist, der uns versuchen will, und wir bitten den Vater im Himmel, dass er den Versucher daran hindert, uns in Versuchung zu führen. Denn es wäre eine grosse Gefahr, in die Versuchung zu kommen.

2. Die theologische Seite

In der Heiligen Schrift steht, dass Gott versucht, aber es steht auch ausdrücklich, dass Gott niemanden versucht. Das erste überliefert Genesis 22,1 von Abraham: „Gott versuchte Abraham”, d.h. er stellte ihn auf die Probe (so übersetzt die Einheitsübersetzung). Das zweite schreibt der Brief des Apostels Jakobus: „Gott versucht niemanden”, Jakobus 1,13. Wie müssen wir diesen scheinbaren Widerspruch auflösen? Gott versucht, und der Böse versucht, aber sie tun es in entgegengesetzter Absicht. Gott stellt jemanden auf die Probe, um ihm Gelegenheit zum Wachsen zu geben. Durch die Prüfung soll er reifen und an Kraft gewinnen. Der Satan tut es, um den Menschen zu Fall zu bringen. Für ihn ist die Versuchung ein Fallstrick, in die der Mensch in seiner Schwachheit hineintritt und stürzt. Das hat das biblische Buch Ijob gut dargestellt. Der Satan kommt vor Gott, um ihm zu beweisen, dass Ijob in der Versuchung versagen und Gott den Rücken zuwenden wird. Gott erlaubt ihm, das auszuprobieren, aber er überwacht die Probe, so dass der Widersacher die Erprobung nicht über alles Mass hinaus treiben darf.

3. Sinn und Übersetzung der sechsten Vater-unser-Bitte

So wird deutlich, dass man die Versuchungs-Bitte im Vater-Unser zweifach verstehen kann:
Erstens, wir sagen zu Gott: „führe Du uns nicht in Versuchung”, denn wir sind schwache Menschen, und selbst wenn Du uns in guter Absicht auf die Probe stellst, damit wir an Glauben und Liebe wachsen, so ist trotzdem die Gefahr gross, dass wir in der Erprobung versagen könnten. Sie könnte für uns zu schwer werden. Es ist eine Bitte der Demut und Selbsterkenntnis.
Zweitens, wir sagen zu Gott: „hindere den Versucher daran, uns auf die Probe zu stellen”, denn er will unser Unglück. Er will uns durch schwere Schicksalsschläge von Dir trennen. Wir sind nicht Ijob, der sich in der Versuchung bewährte, wir sind schwächer als er. Dieses zweite Verständnis passt gut zur letzten Vater-unser-Bitte: „erlöse uns von dem Bösen!”

Die neue Fassung der Versuchungsbitte in der französischen Liturgie: „ne nous laisse pas entrer en tentation” („lass uns nicht in Versuchung kommen”) ist somit im dargelegten Sinn eine ebenso richtige Übersetzung wie jene der deutschsprachigen Liturgie.

* Prof. em. Dr. Adrian Schenker op (*1939), ist emeritierter Professor für Alttestamentliche Wissenschaft der Universität Fribourg. Er ist Spezialist für die Geschichte der Textüberlieferung des Alten Testaments und Präses der internationalen Herausgeberkommission der Biblia hebraica quinta. Von 2006 – 2016 war er Mitglied des Leitungsgremiums der Revision der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift.

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