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Praxis

Kirche sein mit aktiver Beteiligung

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Kirche sein mit aktiver Beteiligung

Evangeliar Spichtig 1Bewegung ist das zentrale Motiv

Das neue Evangeliar glänzt golden, innen machen Illustrationen die Dynamik des Wortes Gottes sichtbar. Über die Gestaltung des neuen Evangeliars und deren Botschaft sprach die Schweizerische Kirchenzeitung (SKZ) mit P. Peter Spichtig op.

SKZ: P. Peter Spichtig, was gefällt Ihnen am neu gestalteten Evangeliar?

P. Peter Spichtig*: Ich bin begeistert. Ich finde es erst mal als Ganzes sehr gut gelungen. Es hebt sich durch seine allseitig goldene Anmutung und Übergrösse feierlich vom Lektionar ab, das ja ebenfalls neu ist. Gleichzeitig sind die beiden Gattungen sichtbar aufeinander bezogen. Die dynamischen Linien beispielsweise, die auf den Lektionar-Bänden unterschiedlich farbig sind und sich quasi um das Buch herumschlingen, findet man wieder, nun auf der Vorderseite gebündelt.

Welche Botschaften enthält die Gestaltung des Bucheinbandes?

Die Grösse und die edle Farbgestaltung signalisieren Kostbares. Gut sichtbar sind zwei goldene «Bänder», die vertikal und horizontal um das ganze Buch geschlungen sind. Sie bilden auf Vorder- und Rückseite ein Kreuz. Eines, das nun das ganze Buch umarmt. Die bereits angesprochenen Linien formen auf der Vorderseite eine Mandorla, das klassische Aura-MotivEvangeliar Spichtig 2für Christus seit dem 5. Jahrhundert. Diese umfasst hier jetzt nicht eine Christusfigur, sondern die Mitte des Kreuzes, von dem das Heil ausgeht – und also aus diesem Buch! Eine weitere, klar erkennbare Ebene tritt dazu. Dieses flächige Goldkreuz teilt die beiden Ansichtsseiten in je vier Felder. Diese sind dunkelgold hervortretend beschrieben. Zwar sind diese vier Texte nicht wirklich entzifferbar, da sie bewusst verwischt und verfremdet sind. Es handelt sich hierbei um die vier Evangelien. Die Gestaltung des Bucheinbandes kommt wie das des Lektionars ohne Worte aus. Das Evangeliar ist nicht angeschrieben, sondern die Gestaltung bezeichnet, was drinsteht: Dieses Buch handelt von der Frohen Kreuzesbotschaft Jesu Christi, bezeugt durch die vier Evangelien.

Im Evangeliar gibt es zeitgenössische Illustrationen. Was ist das zentrale Motiv dieser Illustrationen?

Das zentrale Motiv ist Bewegung. Die Idee des Künstlers Christof Cremer besteht darin, für die Hauptfeste jedes Kirchenjahres die Kernaussage des jeweiligen Evangeliums in einer Bewegung auszudrücken. Bewegung, Dynamik steht als Leitmotiv insgesamt hinter der Gestaltungsaufgabe von Lektionar und Evangeliar. Im Gespräch zwischen den auftraggebenden Bischöfen und den Theologen mit dem Künstler um die Grundidee dieser liturgischen Bücher schälte sich folgender Punkt heraus: Die Buchgestaltung soll möglichst weit sichtbar machen, was in diesem Buch drinsteht, will da raus und als Wort des lebendigen Gottes erfahren werden und etwas bewirken. Für die Illustrationen wollte der Künstler diese Dynamik in eine Körperbewegung umsetzen, die quasi dem Text entsteigt.

Wie sind sie entstanden?

Cremer hat sich mit einem professionellen Ausdruckstänzer mit den Perikopen auseinandergesetzt und je einen Kerngedanken herausgeschält, den der Tänzer dann in eine Körperbewegung übersetzte. Diese wurde gefilmt und anschliessend am Computer mit Techniken der Vermischung und Verwischung verschiedener Takes verfremdet. Die gefundene Form schliesslich wurde mit dem ebenso verwischten griechischen Text der Perikope unterlegt. So entstand eine zeitgenössische bildliche Ausdrucksform der Grundidee, dass der Mensch durch das Evangelium berührt und bewegt wird; dass das Wort Fleisch und Mensch wird.

Das ist recht aufwändig. Wie nahm die Gestaltung des Evangeliars insgesamt Form an?

Evangeliar Spichtig 3Es gibt eine Ständige Kommission zur Herausgabe der gemeinsamen liturgischen Bücher im deutschen Sprachgebiet (StäKo)1, der u. a. ich für die Schweiz angehöre. Sie verantwortet seit den 1970er-Jahren die Redaktion und Edition dieser Bücher und macht Verträge mit den zu einer Verlegergemeinschaft zusammenarbeitenden katholischen Verlage. Die meisten Sprachgebiete trauten sich in ihren Ausgaben von liturgischen Büchern aus einem recht biederen, klassischen ästhetischen Rahmen kaum herauszubewegen. Die StäKo hat seit den 1990er-Jahren, anlässlich der Nachdrucke vieler Ritualien, angefangen, grafisch etwas Ansprechenderes zu wagen. Als die Reihe an den erneuerten Büchern für die Messe war – Lektionar, Evangeliar und später dann auch das Messbuch – war uns bewusst, dass diese zentrale liturgische Feier sich davon nochmals qualitativ abheben soll. Deshalb haben wir die Zusammenarbeit mit einer ausgewiesenen Fachperson gesucht, die wir in Christof Cremer aus Wien schnell gefunden haben.2 Seine herausragenden Arbeiten im Bühnenbild und Kostümdesign für die Oper einerseits und der Paramentik und der liturgischen Geräte anderseits haben ihn sensibilisiert für die spezifische ästhetische Herausforderung, die sich bewegende Objekte oder Personen im Raum mit sich bringen. Wir wurden uns schnell bewusst, dass diese Zusammenarbeit ziemlich weit über das in der Buchbranche Übliche an Aufwand für eine Cover-Gestaltung eines Buches hinausgehen würde. Hinzu trat im Verlauf des Prozesses die Schwierigkeit, dass den guten Ideen die Bedingung der industriellen Herstellung immer wieder Grenzen setzten. Das hat zum Schluss dazu geführt, dass es letztlich eine Künstlerausgabe des Evangeliars in kleiner Auflage gibt, wo die Ideen vor allem im Hinblick auf die Haptik der Materialien optimal umgesetzt werden konnten.

Was spricht für die Verwendung des neu gestalteten Evangeliars im Gottesdienst?

Es ist sehr alte, gute Tradition, dass bei feierlichen Anlässen – Feiertage, aber durchaus jeder Sonntag – ein eigenes Evangelienbuch vom Diakon zur Einzugsprozession hereingetragen wird. Somit wird deutlich, worum es in der Feier geht: dass Christus in die Mitte seiner Gemeinde ankommt und sich ihr mitteilen will. Es gibt andere Anlässe, wo die Symbolisierung des gemeinsamen Glaubens an Jesus Christus in durch einen Gegenstand wie eben das Evangeliar nachdrückliche Wirkung zu entfalten vermag. In Abteien etwa wurde oft und wird noch da und dort dem Gast ein Evangeliar zum Gruss gereicht, der es dazu küsst. In der Verkündigung während der Eucharistie wird unter ordentlicher und eingeübter Verwendung des Evangeliars (Aufstellen auf dem Altar – feierliche Prozession während des Hallelujas zum Ambo – offenes Aufstellen nach Verkündigung) eine sehr eindrücklich dramaturgische Steigerung inszeniert. Sie hebt die Verkündigung des Evangeliums als den Höhepunkt des Wortgottes-Teils der Messe hervor und macht durch ein komplexes synästhetisches Geschehen deutlich, dass Christus, von dem die Evangelien erzählen, lebt und real unter den Feiernden präsent ist. So etwas darf man nicht langfädig erklären, man muss es einfach bloss mit Überzeugung tun. Und dazu braucht das entsprechende Buch eine Anmutung, die dieser Verwendung entspricht und ästhetisch heutigen Menschen zugänglich ist.3

Das Interview führte Maria Hässig, Redaktorin der SKZ

* Peter Spichtig OP (Jg. 1968) stammt aus Sachseln OW. Er studierte in Freiburg i. Ü. und Berkeley (USA). Nach einigen Jahren in der Pfarreiseelsorge arbeitet er seit 2004 beim Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz.

1 Informationen zu StäKo: www.staeko.net
2 Zusammen mit Julia Oppermann. Siehe dazu: https://christof-cremer.com
3 Zum Weiterlesen siehe die illustrierte A4-Broschüre hg. von Konzept Christof Cremer, Botschaft bewegt. Gestaltung und Illustrationen Neues Evangeliar, zu beziehen unter diesem Link

Das Interview wurde am 13.11.2023 veröffentlicht in der Schweizerischen Kirchenzeitung Nr. 21, S. 354f.

Download

Interview «Bewegung ist das zentrale Motiv» (pdf)