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Kirche sein in Ereignissen und Entwicklungen

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Kirche sein in Ereignissen und Entwicklungen

SKZ Kirchhofer Aeberli«Eins und eins gibt drei»
Ein Interview der SKZ mit Florian Kirchhofer und Claudine Aeberli

«Friedhöflichkeit» und ungelöste Konflikte hemmen eine schöpferische Zusammenarbeit von Liturgieverantwortlichen und Kirchenmusikern. Wie eine solche gelingen kann, zeigen Florian Kirchhofer und Claudine Aeberli.

Herr Kirchhofer, wo liegen Konfliktpotenziale in der Zusammenarbeit von Kirchenmusikern und Liturgieverantwortlichen?

Florian Kirchhofer (FK): Das Konfliktpotenzial liegt im Bereich des Unausgesprochenen. Das können Vorstellungen von Gottesdienst oder Erwartungen an die andere Person sein. Beispielsweise spielt die Organistin ein fröhliches Einzugslied und die Liturgieverantwortliche stellte sich ein besinnliches vor. Da prallen unterschiedliche Gefühlsbilder des Gottesdienstes aufeinander. Hier fehlt die Information der Liturgieverantwortlichen an die Organistin, wie sie sich das Eingangslied vorstellt. Ein anderes Konfliktthema sind die Tempi der Lieder. Wie langsam oder schnell soll ein Lied vom Organisten gespielt werden? Als Organist komme ich jeweils in Stress, wenn ich spiele und über die Lautsprecher schon das Umblättern des Messbuches höre, oder ich ärgere mich, wenn beim letzten Akkord der Liturgievorsteher mit dem Gebet beginnt. Er lässt die Musik nicht verklingen. Musik fängt mit der Stille an und hört mit Stille auf. Dies sind meine persönlichen Erfahrungen, diese werden von anderen Personen im Liturgischen Institut geteilt.

Gibt es weitere Bereiche?

FK: Ja, ein weiterer Bereich ist der Zeitpunkt der Information. Für spezielle Gottesdienste brauche ich Vorbereitungszeit. Ich stelle mich jeweils auf den Gottesdienst ein, gehe mit ihm «schwanger». Letzthin spielte ich Orgel bei einem Gottesdienst anlässlich eines 50-jährigen Hochzeitsjubiläums. Fünf Minuten vor dem Gottesdienst fragte mich der Pfarrer in der Sakristei, ob ich einen Lovesong auf Lager habe. Es wäre noch schön, wenn ich einen am Schluss spielen könnte. Unterdessen bereiten mir solche Situationen keinen Stress mehr, vor fünf bis zehn Jahren hatte ich diese Flexibilität noch nicht und auch kein iPad dabei, auf dem ich alle meine Noten immer zu Hand habe. Manche Kirchenmusiker brauchen vor dem Spiel auch Ruhe und Konzentration. Solche Situationen können sie aus dem Konzept bringen. Ich wünsche mir, dass ich den Gottesdienstablauf bei speziellen Gottesdiensten eine Woche vor dem Einsatz erhalte, v. a. wenn neue Lieder dabei sind. Da brauche ich Zeit zur Vorbereitung. Ein weiterer Bereich sind Rückmeldungen. Wie gebe ich Rückmeldung, wenn mir etwas nicht gefiel oder störte, z. B. wenn während des Orgelspiels die Liturgieverantwortliche – wie in einem Fall – die Scherben eines Kruges zusammenwischt, den sie vorher zur Veranschaulichung ihrer Predigt in Brüche gehen liess. Das sind einzelne Situationen, die mich beschäftigten, sodass ich den Workshop «Bevor die Fetzen fliegen» initiierte. Es ist dem Liturgischen Institut sehr wichtig, dass wir die Kommunikation zwischen Liturgieverantwortlichen und Kirchenmusikern angehen – mit Blick auf einen gehaltvoll gestalteten Gottesdienst.

Frau Aeberli, wenn Sie die genannten Bereiche hören, was kommt Ihnen aus kommunikativer Sicht entgegen?

Claudine Aeberli (CA): Mir kommt entgegen, dass da unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten mit einem gemeinsamen Ziel, den Gottesdienst so zu gestalten, dass Raum für Gottesbegegnung entsteht. Es sind Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Kompetenzen, Erfahrungen und Persönlichkeiten. Für eine angenehme und konstruktive Zusammenarbeit braucht es eine wertschätzende Grundhaltung. Diese zeigt sich darin, dass sowohl die Interessen und Bedürfnisse der Liturgieverantwortlichen als auch jene der Organistin wichtig sind. Sie schätzen die Andersartigkeit des anderen als Ergänzung und sehen sie nicht als Bedrohung. Es gehört die Überzeugung dazu, dass eins plus eins drei gibt. Dass aus den einzelnen Teilen ein Ganzes und ein Grösseres entsteht. Aus dieser Grundhaltung heraus kommuniziere ich dann auf Augenhöhe und bin bereit, die Interessen, Ideen, Bedürfnisse und Erwartungen des Gegenübers abzuholen, ihm verständnisvoll zuzuhören, mich in seine Welt hineinzuversetzen. Ebenso bin ich bereit zu zeigen, was meine Ideen, Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen sind. Und übergeordnet ist das gemeinsame Ziel – ein stimmig gestalteter Gottesdienst. Das ist für mich ein gesundes Vorgehen. Ich erlebe, dass die meisten Menschen kooperativ sind. Sie sind sich jedoch oft nicht bewusst, dass Unausgesprochenes grossen Interpretationsraum lässt. Dann fantasieren wir, weshalb und warum der andere so handelte. An dieser Stelle kann die Konflikteskalationsspirale zu drehen beginnen.

Was braucht es, um aus dieser Situation zu kommen?

CA: Den Mut, nachzufragen. Wenn ich nicht (mehr) nachfrage, dann kann ich in die Interpretationsspirale fallen.

FK: Ich habe dazu ein Beispiel. Nach einem Rorategottesdienst kam eine Frau auf mich zu und sagte, das Orgelspiel sei heute wieder ein Gebrumme gewesen. Ich schluckte zuerst und meinte dann, Rorategottesdienste seien für mich ruhige Gottesdienste und fragte sie spontan, wie ihr sonst Orgelmusik gefalle. «Überhaupt nicht», antwortete sie mir. Gleich, was ich gespielt hätte, es hätte ihr nicht gefallen. Zum Glück habe ich nachgefragt, sonst wäre ich mit dem Gefühl, dass mein Orgelspiel ein Gebrumme gewesen war, nach Hause gegangen.

Wie kann ich konstruktiv und friedvoll Konflikte angehen?

CA: Mit Konflikten sind Emotionen verbunden. In diesem Moment ist es wichtig, einmal bewusst auszuatmen und innezuhalten, bevor ich reagiere. Vielleicht schaffe ich es, kurz zu reflektieren: Was war geschehen? Weshalb reagiere ich so stark? Was hat mich verletzt? Welcher Teil der Situation hat mit mir zu tun und welcher mit meinem Gegenüber? Und dann kann ich probieren, respektvoll dem anderen in einer Ich-Botschaft zu sagen, was ich jetzt in mir wahrnehme und um eine Aussprache bitten. Dabei darf ich massvoll Emotionen zeigen. Dies in der Hoffnung, dass der andere für eine Aussprache bereit ist. Wichtig ist, dass beide einander ihre Sicht erzählen, einander zuhören und das, was der andere sagt, gelten lassen. Ich sage in meinen Beratungen jeweils, wir alle leben je in einer eigenen Wirklichkeit und vergessen das immer wieder. Jeder nimmt die Welt anders wahr. Der nächste Schritt ist, dass sie sich fragen, was sie aus der Situation lernen können und wie sie in Zukunft mit einer solchen umgehen wollen. Manchmal braucht es eine Entschuldigung und die Bitte um Verzeihung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sich stets und besonders in Konflikten bewusst zu sein: Wir sind Menschen. Wir verletzen immer wieder und werden verletzt. Es braucht hier eine gehörige Portion Barmherzigkeit.

FK: Eins und eins gibt drei, das finde ich ein schönes Bild. Wenn der Liturgieverantwortliche und der Kirchenmusiker gut zusammenwirken, dann gibt es ein Mehr. Da sehe ich Potenzial für die Zukunft. Die Gläubigen sollen ein Gesamtpaket erleben, welches authentisch ist. Gott feiern verändert.

Herr Kirchhofer, haben Sie Beispiele gelingender Zusammenarbeit? Erzählen Sie davon.

FK: Ja, ich mache die Erfahrung inspirierender Zusammenarbeit. Letzthin erzählte mir eine Seelsorgerin ein paar Tage vor einer Beerdigung, dass sie einen schönen Psalm gefunden habe. Ich meinte, vielleicht könne ich dem Psalm etwas Musikalisches unterlegen und bat sie, ihn mir zu senden. Ich spielte, während sie den Psalm besinnlich vorlas. Die Trauergemeinde war vom Psalm berührt und hat ihn sehr geschätzt. Hier sehe ich das Potenzial der Zusammenarbeit. Musik kann Seelsorge wunderbar unterstützen. Und ich mache das gerne. So bitte ich die Liturgieverantwortlichen auch, auf dem Gottesdienstablauf hinzuschreiben, wie sie sich die Musik vorstellen. Soll sie besinnlich, fröhlich, getragen, beschwingt, tröstend ... sein? Diese Informationen sind mir hilfreich. Und sie reichen. Es braucht – auch angesichts fehlender Zeit für Gespräche – für gewöhnlich nicht mehr.

CA: Und wenn der Gottesdienst vorbei ist, ist es für eine gute Zusammenarbeit förderlich, einander Rückmeldungen zu geben. Einerseits einander danken und wertschätzen, andererseits kann Schwieriges angesprochen werden. Dies ermöglicht von- und miteinander zu lernen und frühzeitig Irritationen zu klären. Eine konstruktive vertrauensvolle Teamkultur kann so wachsen.

Herr Kirchhofer, was ist das Ziel des Workshops?

FK: Dass in den Gottesdiensten eine Drei entsteht und die Gläubigen beglückt aus dem Gottesdienst gehen und gerne wiederkommen.

CA: Und dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Potenzial und den Mehrwert guter Zusammenarbeit sehen. Das ist ein Ziel. Ein anderes ist das Verständnis dafür, dass Reibungen normal sind. Die Frage ist, wie gehen wir mit Reibungen um, sodass sie zu Entwicklung führen. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist. Gerade in sozialen und kirchlichen Institutionen beobachte ich, dass Reibungen und Konflikte weggedrückt werden. Ich nenne das jeweils «Friedhöflichkeit». Man wagt nicht mehr, darüber zu sprechen. Am Kurs werde ich über ein paar Grundhaltungen hinaus ein paar verbale und nonverbale Verhaltensangebote für Gespräche und etwas zur Stärkung der Selbstreflexion mitgeben.

FK: Unser Wunsch für den Kurs ist, dass Liturgieverantwortliche und Kirchenmusiker aus der gleichen Seelsorgeeinheit zusammen teilnehmen. So werden sie nach dem Kurs auf dem gleichen Level sein und das Gelernte in die Pfarrei mitnehmen.

Das Interview führte Maria Hässig, Redaktorin der Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ). Dieses wurde zuerst veröffentlicht in der Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ) Nr. 11/2024, S. 183-184.

Den im Interview angesprochenen Workshop "Bevor die Fetzen fliegen" am 06.11.2024 in Zürich finden Sie  hier.


Zur Person

Claudine Aeberli-Hayoz arbeitet als selbständige Coach, Supervisorin, Organisationsberaterin und Trainerin. Seit einigen Jahren leitet sie Exerzitien im Alltag und ist in Ausbildung zur geistlichen Begleiterin. www.claudineaeberli.ch

Florian Kirchhofer ist Kirchenmusiker. Er ist Chorleiter und Organist im Pastoralraum «Mittlerer Leberberg» SO im Bistum Basel und seit Januar 2023 fachlicher Mitarbeiter im Bereich Kirchenmusik am Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz.

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Artikel «Eins und eins gibt drei», SKZ 11/2024, S. 183-184